© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Er machte stets eine gute Figur
Normannischer Kleiderschrank: Dem großen Schauspieler Curd Jürgens zum hundertsten Geburtstag
Wolfgang Paul

Wenn er seinen hundertsten Geburtstag erleben könnte, dürfte er sich wie aus einer anderen Epoche vorkommen. Denn als er ein internationaler Star war, galt ein Handkuß noch nicht als antiquiert, und ein Frauenheld wurde nicht Womanizer genannt und mußte auch nicht seinen nackten Oberkörper vorzeigen.

Curd Gustav Andreas Gottlieb Franz Jürgens kam am 13. Dezember 1915 in München-Solln zur Welt, also im zweiten Weltkriegsjahr und noch zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Mit einer französischen Mutter und einem erfolgreichen Hamburger Kaufmann dänischer Herkunft als Vater wuchs er in begüterten Verhältnissen auf. Zudem weckten seine älteren Zwillingsschwestern, deren Verehrer sich im Hause Jürgens vorstellten, schon frühzeitig sein Interesse an Liebesdingen. Vermutlich ist auch in seiner Kindheit und Jugend eine Erklärung für seinen aristokratischen Habitus zu suchen, den er vor der Kamera nur ablegte, wenn es die Rolle erforderte.

Schon auf dem Gymnasium in Berlin, wohin 1925 die Familie gezogen war, fiel sein schauspielerisches Talent in der Theatergruppe auf. Während eines kurzen Intermezzos als Reporter bei einer Berliner Boulevardzeitung (eine kleine Parallele zu Billy Wilders Lebensweg) nimmt er auf Anraten seiner späteren Ehefrau Lulu Basler Schauspielunterricht. Nach seinem Filmdebüt 1935 in dem Historienfilm „Königswalzer“ landet er ein Jahr später als singender Bonvivant in Ferdinand Raymonds Operette „Ball der Nationen“ auf der Bühne des Dresdner Central-Theaters, eines Ablegers des Berliner Metropoltheaters.

Doch das schauspielerische Debüt unseres Jubilars ist eine kleine Rolle in einer großen Kinoproduktion: als Kaiser Franz Joseph in der Filmoperette „Königswalzer“ mit Willi Forst und Paul Hörbiger. Charakteristisch für ihn ist, daß diese Chance, im lukrativen Filmgeschäft Fuß zu fassen, keineswegs ein Grund ist, das Theater aufzugeben. Vielmehr geht er zurück nach Berlin an die Komödie am Kurfürstendamm, erhält 1938 ein Engagement am Deutschen Volkstheater in Wien – von NS-Propagandarollen hält er sich fern – und schafft schon wenige Jahre später den Sprung ans Wiener Burgtheater, an die Bühne, die wie für ihn geschaffen zu sein scheint.

Es folgen über die Jahre viele Rollen an diversen Theatern, vornehmlich in Wien. Legendär sind seine Auftritte als Jedermann bei den Salzburger Festspielen von 1974 bis 1977. „Curd lebte für das Theater“, wird seine Privatsekretärin und Hausdame Lazar später schreiben. „Der Film war zum Geldverdienen. Davon brauchte er eine Menge.“ Dennoch bildet seine Arbeit als Filmschauspieler das Fundament für seinen Ruhm, dafür, daß sein Name heute noch bekannt ist.

141 Filme verzeichnet die Dokumentation des Deutschen Filmmuseums zu Frankfurt am Main, das den umfangreichen Nachlaß von Curd Jürgens verwaltet, der – entgegen dem Wunsch des Schauspielers – nach seinem Tod nicht verbrannt worden ist. Mit der von ihm selbst besonders geschätzten Zuckmayer-Verfilmung „Des Teufels General“ unter der Regie von Helmut Käutner erreicht 1955 seine Filmkarriere einen ersten Höhepunkt. Die Geschichte von dem Luftwaffengeneral Harras, den die SS zu gewinnen sucht, der aber widersteht und sich schließlich das Leben nimmt, bot Jürgens eine Paraderolle. In der Uniform macht sich der oft etwas ungelenk wirkende Jürgens großartig. Hinter seiner hohen Stirn scheinen die richtigen Befehle zu reifen, die er schmallippig verkündet. Seine empfindsamen Augen deuten den sensiblen Kern unter der rauhen Schale an. Sein Schwanken zwischen Anpassung und Auflehnung, sein Draufgängertum, auch bei Frauen, sein Alkoholkonsum und die freche Berliner Schnauze („Prost mit einem leeren Glas – der Führer ist Abstinenzler“), das alles ist Jürgens, wie er auch im richtigen Leben war. Bei diesem Film paßte einfach alles. Er machte den Hauptdarsteller nicht nur weltbekannt, sondern zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch „zum Prototyp des guten Deutschen in Uniform“, wie Heike Specht in ihrer kürzlich erschienenen Curd-Jürgens-Biographie über den „General und Gentleman“ schreibt.

Zwei weitere Uniformrollen fallen auf. In „Bitter war der Sieg“ spielt Jürgens den britischen Major Brand, der seinem Auftrag, dem Angriff auf Rommels Hauptquartier, nicht gewachsen ist. Brand kämpft gegen seine eigene Schwäche und gegen den rangniedrigen Offizier Leith (Richard Burton), einen robusten Zyniker, der zudem der Ex von Brands Frau ist.

Neben diesem düsteren Film ist „Jakobowsky und der Oberst“ eine intelligente Militärkomödie, also ein Genre, das sich wohltuend von der Militärklamotte abhebt. Jürgens gibt neben dem gewitzten polnischen Juden Jakobowsky (Danny Kaye) den polnischen Oberst Prokoszny, einen alten antisemitischen Adligen, der sich überlegen fühlt, aber immer wieder eines Besseren belehrt wird. Mit viel Selbstironie übertreibt er hier, spielt er Theater im Film.

Curd Jürgens wirkte auf der Leinwand und auf der Bühne, und er wirkte vor allem auf die Frauen. Es gibt glaubhafte Berichte, daß er sich vor ihnen kaum retten konnte. Daran änderte auch der Motorradunfall nichts, der dem Siebzehnjährigen die Zeugungsfähigkeit raubte. Fünf Ehefrauen hatte er und zahlreiche Affären, die berühmteste mit Romy Schneider. Von Brigitte Bardot erhielt er während der Dreharbeiten zu „... und ewig lockt das Weib“ (1956) die liebevoll gemeinte Bezeichnung „normannischer Schrank“.

Jürgens besaß mehrere Wohnsitze und ließ zu Dreharbeiten Häuser mieten, weil er Hotels nicht mochte. Weil er nicht gerne allein war, lud er Leute ein und spielte den spendablen Gastgeber. Bei ihm speiste man nicht, man tafelte. Auch die Klatsch-Illustrierten waren informiert. „Es ist mir egal, was die Presse über mich schreibt, Hauptsache, die schreiben meinen Namen richtig“, soll er gesagt haben. Sein internationaler Ruhm brachte ihm auch die Bösewicht-Rolle in dem James-Bond-Abenteuer „Der Spion, der mich liebte“ (1977) ein. Nebenbei: Bond-Gegenspieler sind auffallend häufig deutschsprachige Filmstars, von Gert Fröbe bis zuletzt Christoph Waltz.)

Getreu seinem Leitspruch „Es ist wichtiger, den Jahren mehr Leben zu geben, als dem Leben mehr Jahre“ starb Curd Jürgens am 18. Juni 1982 im Alter von 66 Jahren in Wien.

Curd Jürgens: Er spielte oft den „Prototyp des guten Deutschen in Uniform“, schreibt seine Biographin Heike Specht