© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

CD-Kritik: Igor Strawinski
Heiliger Ernst
Jens Knorr

Wer sich die Wartezeit auf die noch ausstehende dritte Oper von Teodor Currentzis’ Mozart/da Ponte-Zyklus verkürzen will, der greife zu der eben erschienenen Aufnahme von Igor Strawinskis „Le Sacre du Printemps“, eine Produktion der Ruhrtriennale von 2013; Currentzis dirigiert hier seine MusicAeterna.

Die „reine russische Essenz dieses Werks“ will Currentzis präsentieren, „gezogen aus ihrer wirklichen, tiefen Quelle am anderen Ende der Welt“ – und er präsentiert sie in der revidierten Fassung von 1947. Dabei ist das verwendete genuin russische Material, das die Musikwissenschaft längst identifiziert hat, das eine, und nicht einmal das reine. Das andere aber ist das Vorgefühl künftiger Katastrophen, das mehr noch als die „barbarischen“ Ostinati, die polytonalen und polyrhythmischen Schichtungen der Partitur den Uraufführungsskandal des Balletts 1913 befeuert haben dürfte. Currentzis zelebriert sie mit heiligem Ernst, auskalkuliert bis ins letzte Detail. Seine stahlglänzend abweisende Interpretation ruft weniger die Babuschki des Permer Rayons oder überhaupt Bilder aus dem heidnischen Rußland herauf, als vielmehr Marinettis Futuristisches Manifest an.

Currentzis’ Bilder kommen aus dem christlich-orthodoxen Rußland der Putinskerei, oder auf gut russisch: Putinschtschina.

Igor Strawinski Le Sacre du Printemps Sony Classical, 2015  www.teodor-currentzis.com