© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Gespräche im Freundes- und Kollegenkreis über Helene Fischer und ihr kürzlich erschienenes Weihnachtsalbum. Was sie davon halten, obwohl kaum jemand bislang auch nur einen Ton daraus gehört hat, drückt allein schon ihre Körpersprache aus: Stirnrunzeln, Augenrollen, verschränkte Arme vor der Brust; dazu ein „O Gott“ auf den Lippen, „muß diese Überfliegerin jetzt auch noch deutsche Weihnachtslieder singen?“ Die so denken, sind interessanterweise die gleichen Leute, denen angesichts der Endlosschleifen von „Last Christmas“ oder Melanie Thorntons „Wonderful Dream“ im Radio, in den Einkaufszentren und auf Weihnachtsmärkten der Kamm schwillt. Nein, dann doch lieber Helene Fischers Doppel-CD, eingespielt mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Achtzehn traditionelle Advents- und Weihnachtslieder, von „Stille Nacht“ über „Süßer die Glocken nie klingen“ und „O Tannenbaum“ bis „Ave Maria“, sowie siebzehn englischsprachige Titel, darunter das phantastische Duett mit Plácido Domingo bei „What Child Is This“ – Herz, was willst du um diese Jahreszeit mehr? In den offiziellen deutschen Album-Charts steht die gute Helene übrigens noch vor Adele auf Platz eins. Allen Nörglern zum Trotz.

In Abwandlung von Max Liebermann: Man kann in den sogenannten Leitmedien gar nicht soviel lesen, wie man bei deren Lektüre kotzen möchte.

Vorgestern gesagt, bis heute gültig: „Das Abendland geht meiner Meinung nach gar nicht zugrunde an den totalitären Systemen (…), auch nicht an seiner materiellen Verarmung (…), sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Begriffen“, schreibt Gottfried Benn in seinem „Berliner Brief“ vom Juli 1948 an den Herausgeber der Monatsschrift Merkur. Diese politischen Begriffe sind für ihn „Demokratie“ und „das Humanitäre“. Benn weiter: „Wo aber immer bei uns sich im Geistigen etwas Primäres andeutet, ein vulkanisches Element, greift die Öffentlichkeit ein mit Abtreibung und Keimzerstörung (…) die Kulturphilosophen, Kulturdeuter, Krisenphänomenologen strömen zusammen, denunzieren, eliminieren, rotten aus – und natürlich auch die Herren Chefredakteure in ihren großen Presse-Limousinen als die beruflichen Dammrißflicker – und alles dies zum Schutz von Demokratie und Humanität, – was soll also eigentlich das ganze Gerede vom Abendland und seiner Erneuerung und seiner Krise, wenn man sich doch nur das erneuern lassen will, was schon längst da ist, in seinem Rahmen nützlich (…)“