© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Aufklärung ohne Grenzen
Jubiläum: Die Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus feiert im Berliner Roten Rathaus ihr 25jähriges Bestehen
Christian Dorn

Das berüchtigte Diktum der Gruppe Ulbricht, dem zufolge es demokratisch aussehen, die Genossen aber alles in der Hand haben müßten, scheint noch immer aktuell zu sein. Nachdem die damalige Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch Anfang 2011 neue „Wege zum Kommunismus“ propagiert hatte, ist es heute Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, die Ulbrichts Politik rechtfertigt und die perspektivische Errichtung des „Weltsozialismus“ einfordert, auf dessen Weg „die Überwindung dieser Gesellschaftsordnung“ anstehe.

Daß Wagenknecht, die den Herbst von 1989 als eine „direkte Konterrevolution“ deutet, ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform für ihre Wahl an die Fraktionsspitze „ruhen“ läßt, bezeichnete der Schriftsteller Reiner Kunze treffend als ein „ideologisches Schläfertum mit Ansage“. Schließlich sei Die Linke „eine Art Kokon der Kommunistischen Plattform“. Kunze warnte daher: „Es gibt Ideologien, deren die Menschheit nie Herr werden wird, und der Weg von der Demokratie in die Diktatur kann demokratisch sein.“

Gleichwohl zählen heute Wagenknecht und ihre Genossen zu den bevorzugten Interviewpartnern etwa im Morgenmagazin des Deutschlandfunks und damit zu den Stichwortgebern der politischen Agenda dieser Republik, zumal durch ihren ersten Ministerpräsidenten in Thüringen. Dies ist vorauszuschicken, um das 25. Gründungsjubiläum der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e.V. in seiner aktuellen Bedeutung zu verstehen – nicht zuletzt mit Blick auf 2017, „zum hundertsten Jahrestag des kommunistischen Putsches, der sogenannten sozialistischen Revolution“, wie Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, zur Feierstunde im Roten Rathaus bemerkte. Auch Hans-Gert Pöttering, Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung und einstiger EU-Parlamentspräsident, würdigte den Kampf der Gedenkbibliothek für die Freiheit, indem er an die Parallelität der beiden Totalitarismen erinnerte: dem Kommunismus, der auf die Klasse, und dem Nationalsozialismus, der sich auf die Rasse gründete.

„Who’s Who“ der Totalitarismusforschung

Zuvor hatte die Slawistin Ursula Popiolek, Initiatorin und Vorstandvorsitzende der Gedenkbibliothek, in ihrem leidenschaftlichen Vortrag die Gründungsgeschichte der Bibliothek reflektiert, die sich auf drei Werke gründete, darunter Wolfgang Leonhards legendärer Titel „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ über die aus Moskau eingeflogene „Gruppe Ulbricht“. Popiolek erhielt das Buch aus dem Westen als Tarnschrift, mit dem Einband „Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR“.

Heute zählt die Gedenkbibliothek über 12.500 Werke, wobei die umfangreiche Sammlung der Haft- und Lagerliteratur das „Herzstück“ ist – nicht zufällig bildete Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ hierzu den Grundstock. Hinzu kommen Titel von DDR-Oppositionellen sowie osteuropäische, vor allem sowjetische Dissidentenliteratur sowie Standardwerke der politischen, juristischen und geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung. Wenngleich die früheren Anschläge auf die Bibliothek, begleitet durch mediale, von links gesteuerte Kampagnen, heute Vergangenheit sind, bleibt die öffentliche Resonanz auf die umfangreiche Tätigkeit der Bibliothek, die alle vierzehn Tage zu historisch wichtigen, immer wieder auch hochkarätigen Vorträgen einlädt, weitgehend aus.

Dabei ist es das „Who’s Who“ der Kommunismus- und Totalitarismusforschung und namhafter Zeitzeugen, das sich hier im vergangenen Vierteljahrhundert bis heute die Klinke in die Hand gegeben hat, von Wolfgang Leonhard und Melvin J. Lasky über Joachim Walther, Joachim Gauck, Ernst Cramer, Gerhard Löwenthal, Burkhart Veigel, Rainer Eppelmann, Ulrich Schacht, Anne Applebaum, Hubertus Knabe, Jörg Schönbohm, Eberhard Diepgen, Günter Schabowski, Hans-Dieter Schütt, Jörg Friedrich, Karl Wilhelm Fricke, Vera Lengsfeld, Klaus Schroeder oder Arnulf Baring, um nur einige der zahllosen Referenten zu nennen.

Offenbar ist diese Aufklärung über die „historische Mission“ des Kommunismus, der seine Feinde zu „Klassenfeinden“, „Volksfeinden“, „Menschen der Vergangenheit“ oder „Konterrevolutionären“ erklärt, nicht besonders gelitten. So wird die Arbeit bis heute von öffentlicher Seite nur als eine „Projektarbeit“ mit anderthalb Stellen gefördert. Wenn es wirklich ein Skandalon fehlender Subventionskultur in Berlin gibt, dann dürfte das wohl auf diese Situation zutreffen. Um so verdienstvoller ist der – durch private Spenden finanzierte – Dokumentationsband „Aufklärung ohne Grenzen“ über die Veranstaltungsabende der Gedenkbibliothek, der anläßlich des Gründungsjubiläums im Verlag des Osteuropa-Zentrums Berlin erschienen ist.

Kontakt: Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus, Nikolaikirchplatz 5-7, 10178 Berlin. Telefon: 030 / 283 43 27. Öffnungszeiten: Mo. bis Do. 10 bis 18 Uhr. Spendenkonto: Berliner Bank, BLZ: 100 708 48, Konto-Nr.: 624 1822 00.

 www.gedenkbibliothek.de