© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Wenn Mensch und Tier sich zu nahe kommen
Ebola-Epidemie: Eine Nachbereitung aus globalisierungskritischer Sicht
Dieter Menke

Die seit Monaten über die offenen Grenzen hereinbrechende Völkerwanderung müsse man, so lautet der zynische Kommentar des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, als „Deutschlands Rendezvous mit der Globalisierung“ begreifen. Das wäre innerhalb eines Jahres dann die zweite gefährliche Begegnung mit einer in Berlin offenbar fatalistisch als Schicksal akzeptierten Macht. Denn schon im Sommer/Herbst 2014, als die Nachrichten über das Massensterben in Westafrika, ausgelöst vom Ebola-Virus, nicht abrissen, lernten die Deutschen eine der vielen düsteren Seiten der Globalisierung kennen.

So interpretiert jedenfalls Andreas Iskam vom Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr in seiner „geopolitischen Betrachtung“ diese verheerende Epidemie, die binnen kurzem 11.000 Menschen das Leben gekostet hat (Geographische Rundschau, 11/15). Keine Beachtung schenkt Iskam jener herkömmlichen Ursachenanalyse, wie sie jetzt von Medizinern des Harvard Global Health Institute und der übrigen Internationale der Epidemie-Experten im Fachblatt The Lancet offeriert wird, der zufolge zumindest das Ausmaß der Katastrophe auf ein Versagen der Frühwarnsysteme und auf ein zu spätes Eingreifen der Weltgesundheitsorganisation WHO zurückzuführen sei.

Weil der Mensch in die Wildnis vordringt

Für Iskam sind das eher nachrangige Faktoren. Entscheidender für die Entstehungsgeschichte der Epidemie sei eine Konstellation, wie sie eben nur die Globalisierung schaffe. Die westafrikanische Ausgangslage war, wie häufig im globalen Süden, bestimmt durch fragile Staaten und zerbrechliche Zivilgesellschaften mit schwachen Gesundheitssystemen. Dies führe in Verbindung mit Naturzerstörungen durch weltweit operierende Agrarkonzerne zu „land grabbing“, industriellem Holzeinschlag und Monokulturen, zu vergrößertem Streß auf Mensch und Umwelt, so daß es in Guinea, Sierra Leone und Liberia nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis eine derartige Epidemie ausbrechen würde.

In der wissenschaftlichen Literatur gebe es kaum Widerspruch gegen die These, daß es zwischen den neuen Infektionskrankheiten wie Ebola und dem Vordringen des Menschen in die Lebensräume der Waldtiere einen Zusammenhang gäbe. Denn um überhaupt in die menschliche Population zu gelangen, ist ein Überspringen des Virus von den als Reservoire dienenden Tierarten wie Flughunden und Fledermäusen erforderlich. Das Virus gelangt dann über den Verzehr von „Bushmeat“, dem Fleisch der primären Träger, oder durch Kontakt mit kontaminierten Früchten in den Menschen. Die erste solcher Zoonosen geschah Ende 2013 im Grenzraum Guineas zu Liberia und Sierra Leone. Alle drei Länder weisen damals wie heute Gegebenheiten auf, die diese Zoonosen begünstigten. Große Bevölkerungsteile sind dort sozioökonomisch schwach und unterernährt. Teil ihrer Lebensgrundlage ist daher die Jagd nach Wildtieren im Wald.

Zoonosen und heillose     Destabilisierung

Gleichzeitig rücken infolge des massiven legalen wie illegalen Holzeinschlags die Lebensräume von Mensch und Tier immer enger zusammen. Die gesamte Region ist durch seit den 1980er Jahren ausgefochtene Bürgerkriege destabilisiert worden. Korrupte Regime erleichterten „Global Playern“ des Nordens, Erze, Mineralien, Diamantenvorkommen und Urwälder in den drei Staaten unbekümmert um ökologische Auswirkungen auszubeuten. Den Löwenanteil des Profits dieser Globalisierung strichen Konzerne wie London Mining, der Palmöl-Gigant Sime Darby, Arcelor Mittal oder China Union ein, ein Handgeld blieb den herrschenden Cliquen. Hingegen leben 80 Prozent der Bevölkerung Guineas weiterhin von einem Dollar pro Tag, obwohl das Wirtschaftswachstum des Landes vor Ausbruch der Epidemie stattliche acht bis zehn Prozent erreichte.

Die Epidemie sei somit Ausdruck einer Entwicklungskrise westafrikanischer Staaten. Deren Wirtschaftslage habe sie nochmals verschlechtert, da die Konzerne Mitarbeiter evakuierten, Investitionen stoppten und Exporte etwa von Palmöl und Erz aussetzten. Besonders in Liberia sei die Lage kritisch, da neue bürgerkriegs­ähnliche Unruhen drohten. Womit dem Wüten der nächsten Epidemie die Bahn bereitet wäre. Überpünktlich stellten sich vor drei Wochen denn auch in Liberia drei frische Fälle ein – das Land galt 2015 endlich als ebolafrei.


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