© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Immer wieder Höcke
AfD: Der Thüringer Fraktionschef bringt erneut die Partei gegen sich auf
Marcus Schmidt

Am Wochenende  ging ein Stoßseufzer durch die AfD. „Nicht schon wieder Björn Höcke!“ Wieder einmal hatte der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag mit einem Auftritt nicht nur die Kritik des politischen Gegners auf sich gezogen. Auch innerhalb seiner eigenen Partei gingen die Wogen hoch, nachdem am Freitag im Internet der Mitschnitt einer Rede Höckes veröffentlicht worden war, die dieser Ende November auf einer Veranstaltung des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda in Sachsen-Anhalt gehalten hatte. Darin vertrat Höcke die These, Afrika und Europa hätten durch die Evolution „zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien“ hervorgebracht. Während in Afrika die „r-Strategie“ vorherrsche, die auf möglichst hohe Wachstumsraten abziele, stehe dem in Europa die „K-Strategie“ gegenüber. Diese wolle „die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen“. Aus diesem Grund würden in Afrika mehr Kinder pro Frau geboren als in Europa.

In weiten Teilen der Partei sorgten diese Äußerungen für Entsetzen. „Ich habe viele ‘ungeschickte’ Äußerungen Höckes, die eines Geschichtslehrers unwürdig sind, ertragen und geduldet, das hier hat eine andere Qualität. Es ist sachlich falsch, fundamental falsch und rassenideologisch geprägt“, schrieb der AfD-Chef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell am Sonnabend erbost auf Facebook. Noch deutlicher wurde der bayerische Landesverband der Parteijugend Junge Alternative (JA): Sie forderte Höckes Parteiausschluß. 

Zur selben Zeit entfaltete sich an der Parteispitze eine hektische Telefondiplomatie. Das Ergebnis: Am Sonntag nachmittag reagierte Höcke. „Ich bedaure, wenn meine Aussagen vom 21. November zu Fehldeutungen geführt haben“, hieß es in einer Pressemitteilung der Thüringer AfD-Fraktion. „Ich vertrete das christliche Menschenbild, und die Würde jedes Menschen ist für mich unantastbar. Es ging mir darum, deutlich zu machen, daß sich Europa meiner Meinung nach vor einer Einwanderung, die es selbst überfordern würde, durch geschlossene Grenzen schützen muß.“ 

Diese Entschuldigung war auch für Höckes Kritiker das Signal zur Deeskalation. Pretzell löschte umgehend seinen höckekritischen Facebook-Eintrag. Und auch die Ausschlußforderung der JA-Bayern verschwand wieder aus dem Internet. Auf einer Telefonkonferenz am Sonntag beschloß der Bundesvorstand, Höcke zur nächsten planmäßigen Sitzung einzuladen. Bis dahin, so hieß es von Teilnehmern, wolle sich die Parteispitze zu dem Fall nicht öffentlich äußern. Diese Personalie solle intern diskutiert und entschieden  werden. Die Meldung, der Vorstand habe Höcke gerügt, erwies sich als falsch. 

Permanente Grenzverletzungen

Einzig Parteichef Jörg Meuthen, der in Baden-Württemberg im Wahlkampf steht, durfte am Montag die Äußerungen seines Parteifreundes in scharfer Form zurückweisen und als „indiskutabel“ kritisieren. Allerdings nur in seinem Namen und nicht im Auftrag des Vorstandes. „Seine Ausführungen sind sachlich unsinnig, entbehren wissenschaftlicher Substanz und laden zu Fehldeutungen als rassistische Aussagen geradezu ein. Die Äußerungen sind eine inhaltliche wie politische Torheit“, sagte Meuthen und empfahl Höcke „dringend, in sich zu gehen und sich in seinen öffentlichen Auftritten künftig deutlich zu mäßigen“.  

Zu schärferen Maßnahmen konnte sich die Parteispitze zumindest am Wochenende nicht durchringen. Mit einiger Spannung schaut die Partei daher auf die für Freitag geplante Sitzung des Bundesvorstands, zu der Höcke geladen ist. In der Partei wird nicht mehr ausgeschlossen, daß Höcke dann der Austritt nahegelegt wird oder aber ein Ausschlußverfahren eingeleitet wird. 

Die Mitglieder des Bundesvorstandes werden sich eine solche Entscheidung nicht leichtmachen. Sie könnte zu einer erneuten Spaltung der AfD führen. Schon werden in der Partei die Bataillone gezählt: Darüber, wie viele Anhänger Höcke im Fall der Fälle hinter sich versammeln könnte, gehen die Meinungen an der Parteispitze auseinander. Die Spanne reicht von 20 Prozent bis hin zu 40 Prozent der AfD-Mitglieder. Das hat nicht immer mit inhaltlichen Übereinstimmungen zu tun. Der 43jährige ist beliebt. Mit Intrigen in der Partei wurde er bislang nicht in Verbindung gebracht. Auch aus den Grabenkämpfen der späten Lucke-Zeit Anfang des Jahres hatte er sich herausgehalten. 

Doch möglicherweise hat Höcke nun den Bogen überspannt. Selbst unter seinen Anhängern wächst die Kritik. Stets habe man sich vor ihn gestellt, heißt es aus dem Höcke-Lager, und sei dann immer wieder enttäuscht worden. Mittlerweile gibt es auch Stimmen in der Partei, die hinter den permanenten Grenzverletzungen Höckes eine Strategie vermuten, um parteiinterne Gegner vom liberalkonservativen Flügel aus der Partei zu drängen und so die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu verschieben.

Nach den jüngsten Äußerungen sorgen sich die meisten AfD-Funktionäre aber vor allem um die mittelfristigen Folgen für die Wahlkämpfe in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – und mit Einschränkungen in Sachsen-Anhalt. Denn daß die Thesen Höckes trotz aller Entschuldigungen von den AfD-Gegnern künftig als Beleg für die These vom Rechtsruck der Partei herangezogen werden, ist allen klar. Das sorgt für Unmut. „Den Leuten ist die Partei am Ende wichtiger als jeder einzelne in der Partei“, verdeutlicht der bayerische AfD-Chef Petr Bystron. Möglicherweise beschreibt dieser Satz die Zukunftsaussichten Höckes in der AfD.