© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Eine Hand wäscht die andere
Berlin: Nach seiner Entlassung packt Lageso-Chef Allert aus
Ronald Gläser

Jahrelang ist Franz Allert durch Berlin getingelt. Als PR-Agent in Sachen Asylantenheime. Seine Behörde ist für deren Betrieb zuständig. Seinen Vortrag vor Anwohnern liebte er mit einer Kampfansage einzuleiten: „Meine Damen und Herren, Sie kennen die Lage.“ Dann erklärte er den Nachbarn, warum in ihrem Viertel eine leerstehende Schule oder eine alte Turnhalle requiriert wird. 

Applaus bekam Allert selten. Oft mußte der Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) Kritiker besänftigen. Er tat dies mit einer bemerkenswerten Ruhe. Auch wenn Anwohner Ressentiments äußerten, ließ er sich wenig anmerken. Der Verwaltungsbeamte Allert – hochgekrempelte Ärmel, Seitenscheitel – blieb stets sachlich. So boxte der Behördenchef lange Zeit die Einrichtung immer neuer Heime durch. Er wurde im Laufe der Zeit zu einer verhaßten Person. Aber solange die Berliner Politik ihm den Rücken stärkte, konnte das dem jetzt 60jährigen nicht schaden.

Vertrauliche Unterlagen aus dem Lageso, die der JUNGEN FREIHEIT zugespielt wurden, lassen nun Rückschlüsse zu, warum Allert so lange freie Hand hatte: Es scheint geheime Absprachen mit führenden Politikern gegeben zu haben. Bei der Planung neuer Heime wurde genau berücksichtigt, in wessen Wahlkreis diese errichtet würden. 

Auf der Excel-Liste sind Turnhallen vermerkt, die nun als Heim dienen. Erfaßt sind unter anderem die Grundfläche und der Ansprechpartner. In einer Spalte ist festgehalten, in wessen Wahlkreis sich das Heim befindet. So zum Beispiel die Louis-Zobel-Sporthalle in Tempelhof-Schöneberg. Sie liegt im Wahlkreis des Abgeordneten Thomas Birk (Grüne). In den Wahlkreisen von CDU-Größen wie Sozialsenator Mario Czaja oder Innensenator Frank Henkel sind demnach keine Turnhallen zweckentfremdet worden.

Doch diese Rücksichtnahme hat sich für Allert am Ende nicht ausgezahlt. Als der Massenansturm von Asylbewerbern einsetzte, unter dem Berlin wie keine andere deutsche Metropole zu leiden hat – mit Ausnahme  von München –, wendete sich das Blatt. Plötzlich machten Bilder die Runde, die Hunderte von Asylbewerbern zeigten, die vor dem Lageso in brütender Hitze ausharrten, weil sie auf die Registrierung als Asylbewerber und ihr Taschengeld warten. 

Derzeit warten die Asylbewerber nicht mehr in der Hitze, sondern in der Kälte. Das Lageso hat inzwischen beheizte Zelte aufstellen lassen. Eine medizinische Versorgung ist gewährleistet. Mahlzeiten werden gereicht. Zusätzliche Beamte, Bundeswehrsoldaten und Zeitarbeitskräfte helfen den Lageso-Beamten beim Erfassen der Asylbewerber.  

Allert wurde Opfer einer Medien-Kampagne

Dennoch läuft seit Wochen eine Kampagne der Leitmedien von links bis rechts gegen die Zustände am Lageso. Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. berichtete tagelang aufgeregt über die (überwiegend orientalischen) Wachleute, die zuweilen hart durchgreifen, um Ordnung herzustellen. Die Süddeutsche Zeitung stigmatisierte das Lageso zur „schlechtesten Behörde Deutschlands“. Unzufriedene Mitarbeiter schütteten dem RBB ihr Herz über ihre Arbeitsbedingungen aus („Allert sitzt im 10. Stock und kommt nur runter, wenn er Besuch bekommt“). Daraufhin entzog der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor einer Woche Allert das Vertrauen. Über den Kopf von Sozialsenator Czaja hinweg teilte er mit: „Wir brauchen eine neue Spitze im Lageso, die ihre Verantwortung wirklich wahrnimmt.“ Allert bat daraufhin um seine Entlassung. 

Der Beamte, der jetzt bei vollen Bezügen von seiner Aufgabe entbunden ist, revanchierte sich sogleich mit einem aufsehenerregenden Interview. Er bestätigt, daß Politiker Einfluß auf die Verteilung der Asylbewerber nehmen. Allert zur Bild: „Einzelne Politiker und Bezirke haben jahrelang darauf geachtet haben, daß in ihrem Kiez oder Wahlkreis keine Flüchtlingsheime entstehen.“ Zu diesem Zweck sei unter anderem das Baurecht mißbraucht worden.