© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Ein wohldosiertes Geständnis
NSU-Prozeß: Auch wenn Beate Zschäpe mit ihrer Aussage die Anklage in weiten Teilen bestätigt, bleiben Fragen offen
Hinrich Rohbohm

Hätte sie mal besser geschwiegen. Vermutlich wäre dies für Beate Zschäpe doch die bessere Strategie gewesen. Jene Strategie, die ihr Altverteidiger-Trio Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl im NSU-Prozeß vor dem Münchner Oberlandesgericht bisher verfolgte.

Doch Zschäpe wollte nach mehr als zweieinhalb Jahren Prozeßdauer aussagen. In der vergangenen Woche gab sie über ihren neuen Anwalt Mathias Grasel eine vielbeachtete Erklärung ab. Es war ein  Teilgeständnis, das Richter und Bundesanwaltschaft jedoch nicht allzusehr beeindruckt haben dürfte. Zschäpe gibt zu, die Zwickauer Wohnung des NSU in Brand gesetzt zu haben. Ebenso, daß sie es war, die Ende der neunziger Jahre eine Garage in Jena angemietet hatte, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als Versteck nutzten. Ebenso gestand Zschäpe in der 53 Seiten langen Erklärung, die Identitäten der beiden Männer gegenüber Nachbarn verheimlicht und das Geld verwaltet zu haben, das sie bei Raubüberfällen erbeutet hatten.

Mit den zehn Morden an türkischen und griechischstämmigen Gewerbetreibenden und einer Polizistin hingegen will sie nichts zu tun gehabt und davon immer erst nach der Tat erfahren haben. Vor Gericht stellt sich Zschäpe als eine Person dar, die sich in Uwe Böhnhardt verliebt hatte und nicht von ihm los kam, die die mutmaßlichen Mörder immer wieder gebeten haben will, mit dem Töten aufzuhören, aber nicht die Kraft gehabt habe, sie daran zu hindern. Aus Angst vor einer hohen Haftstrafe will sie geschwiegen haben.

Eine Version, die ihr kaum jemand abnehmen dürfte. Und zu der auch ihr Auftreten in der Verhandlung nicht paßt. Unbeschwert sitzt sie zwischen ihren neuen Verteidigern, dem 31 Jahre alten Grasel und Hermann Borchert. Sie scherzt mit ihnen, lacht. Erstmals wendet sie den Fotografen nicht demonstrativ den Rücken zu. Im Gefängnis, so heißt es, gilt die 40 Jahre alte Zschäpe als Diva, die ihre Popularität sichtlich genieße. Das alles paßt schwer zusammen mit einer Angeklagten, die noch wenige Tage vor ihrer Erklärung einen Nervenzusammenbruch erlitten haben soll und die im Verlauf der Verhandlung psychisch wie physisch angeschlagen gewesen sei.

Zudem sind ihre Einlassungen wenig überraschend. Zu erdrückend sind die Indizien, die sich im Verlauf der bisherigen Verhandlung hinsichtlich der Brandlegung in der Zwickauer Wohnung und der Vorgänge um die Garage in Jena ergeben haben. Der offenbar erhoffte Bonus in der Strafzumessung für Zschäpes diesbezügliche Einlassungen dürfte sich somit in engen Grenzen halten. Zumal die Beschuldigte gerade jene Anklagepunkte abstreitet, in denen die Beweislage gegen sie weniger eindeutig ist. Wie stark war Beate Zschäpe in die Morde involviert? Auch vom Sprengstoff und den von Böhnhardt und Mundlos gebastelten Rohrbomben will sie nichts gewußt haben.

Mit ihrem wohldosierten Teilgeständnis bringt Zschäpe jedoch gängige Verschwörungstheorien der rechtsextremen Szene zum Einsturz, indem sie Böhnhardt und Mundlos unmißverständlich als Täter benennt, auch wenn sie dabei versucht, ihre eigene Rolle kleinzureden. Ihrer Version zufolge finde auch der bisher nicht ins Bild passende Heilbronner Polizistenmord an Michèle Kiesewetter eine banale Erklärung. Mundlos und Böhnhardt sei es lediglich darum gegangen, die Dienstpistolen Kiesewetters und ihres schwerverletzten Kollegen zu erbeuten, weil ihre eigenen Waffen immer wieder Ladehemmungen gehabt hätten. Das mag grotesk klingen, könnte aber angesichts der simpel gestrickten Persönlichkeiten des Trios der Wahrheit nahekommen. Wer die Zeugenaussagen von Mitgliedern der rechtsextremen Szene im Verlauf des Prozesses mitverfolgt hat, konnte einen Einblick in das Milieu bekommen, in dem sich das Trio bewegte. Zumeist sind es gescheiterte Existenzen, in der DDR aufgewachsen und sozialisiert. Nach der Wende fiel ihnen der Weg von der staatlichen Bevormundung hinein in die Selbständigkeit schwer, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit griffen um sich, aus denen sich erst Frust, dann Haß entwickelte. Ein idealer Nährboden, um jemanden für Straftaten einzuspannen.

Viele der Zeugen aus der rechtsextremen Szene wirkten denn auch in ihren Aussagen überfordert, hatten Schwierigkeiten, Fragen des Gerichts zu erfassen und richtig einzuordnen. Symptomatisch auch Zschäpes Erwähnung, daß sie seinerzeit täglich drei bis vier Flaschen Sekt konsumierte. Böhnhardt und Mundlos hätten ihr gegenüber ihre Taten damit begründet, daß sie ihr Leben sowieso „verkackt“ hätten. 

Manche Fragen sind indes auch nach der Aussage Zschäpes weiter ungeklärt. Wie etwa  paßt das eher einfach gestrickte Milieu, aus dem das Trio stammte, zu Morden, die ein gehöriges Maß an Planung und Logistik erfordern? Zu den intelligenteren Mitangeklagten zählt der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Er gilt als mutmaßlicher Unterstützer des NSU. Nachdem Zschäpe angekündigt hatte, sie werde aussagen, machte sich in seinem Lager Nervosität breit. Nun will auch Wohlleben plötzlich reden, der von Zschäpe in ihrer Erklärung allerdings nicht belastet wurde.

Rolle des V-Manns Tino Brandt ist dubios

Vielmehr erwähnt sie den einst führenden thüringischen Rechtsextremisten Tino Brandt, der lange Jahre für den Verfassungsschutz als V-Mann gearbeitet hatte. Er sei es gewesen, durch den sie in der Szene aktiv geworden sei und der das Trio mit Geld versorgt habe. Brandt war ein führendes Mitglied des sogenannten Thüringer Heimatschutzes. 2001 war er als V-Mann enttarnt worden. „Ich wünschte, daß Tino Brandt früher aufgeflogen wäre und die Straftaten nie passiert wären“, heißt es in Zschäpes Erklärung. Auch wenn die dubiose Rolle Brandts lange bekannt ist, bleiben mit Blick auf die Rolle des Verfassungsschutzes weiter Fragen offen. Wußten die Behörden vielleicht doch mehr über den NSU ,als bislang bekannt ist?

 Für eine Verurteilung Zschäpes ist die Beantwortung dieser und anderer Fragen nach Ansicht von Prozeßbeobachtern nicht entscheidend. Die Öffentlichkeit wird dennoch weiter auf Antworten drängen.

Foto: Beate Zschäpe mit ihren Verteidigern Borchert (l.) und Grasel: Drei bis vier Flaschen Sekt am Tag