© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Langer Atem in Dresden
Sachsen: Trotz anhaltender Kritik und sinkender Teilnehmerzahlen demonstriert Pegida weiter
Paul Leonhard

Hardy Krüger hat einen Wunsch. „Die Menschen sollen in sich gehen, sich auf ihre demokratischen Rechte besinnen.“ Der Schauspieler und Weltenbummler, der kurz vor Kriegsende Angehöriger einer Waffen-SS-Divison war, hat ihn unlängst in Dresden geäußert und war dafür von den Medien gelobt worden. Denn der 87jährige zeigte sich befremdet, daß den Pegida-Anhängern jeden Montag die Innenstadt gehört: „Das kann nicht sein.“

Damit reiht sich Krüger in jene Schar von Politikern und Künstlern ein, die die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit nur bestimmten, ihnen genehmen Teilen des deutschen Volkes gewähren will. Die auf jede Pegida-Versammlung folgenden Reaktionen beweisen stets aufs neue, wie schwer sich etablierten Politiker, die Chefredaktionen der meisten Medien und auch viele Hochschulen mit der Demokratie, mit der Meinungsfreiheit Andersdenkender tun.

Daß die „Zuwanderung aus fremden Zivilisationen mehr Probleme schafft, als sie uns auf dem Arbeitsmarkt an positiven Faktoren bringen kann“, darf das gesagt werden? Nach verbreiteter Meinung wäre dieses Zitat, würde es von Pediga-Organisator Lutz Bachmann oder einem anderen Redner vorgetragen, ganz gewiß Hetze. Es stammt aber vom kürzlich verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt und wurde von Ex-Focus-Chef Helmut Markwort aus den flüchtigen Sätzen eines Fernsehgespräches mit Sandra Maischberger in das papierene Gedächtnis des Münchner Magazins Focus gerettet. „Die gesellschaftlichen und politischen Konflikte, die sich aus Sicht des Altkanzlers ergeben können, erfüllen viele Bürger mit Sorge. In den Parteien werden sie nicht diskutiert, auch nicht in der von Schmidt“, schreibt Markwort, für den die Gedanken Schmidts zur Zuwanderung Bestandteil dessen politischen Vermächtnisses sind.

Die Dresdner Vereinigung „Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ wurde anfangs vor allem deswegen verspottet, weil es vor einem Jahr in der sächsischen Landeshauptstadt wie auch in allen aus der DDR hervorgegangenen Bundesländern kaum Menschen gab, die sich zum Islam bekannten. Das hat sich inzwischen angesichts der Asylkrise grundlegend geändert.

Es sind die von den Medien produzierten Reaktionen auf die wöchentliche Pegida-Veranstaltung, die deren Kern zusammenschweißt. Am meisten hat der Entwicklung von Pegida der anfängliche Kurs der Staatsregierung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) geschadet, die auf typisch sächsische Art das neuartige Phänomen einfach aussitzen wollte. Und sie hätte damit wohl Erfolg gehabt, wenn sich nicht in der linken Szene Widerstand formiert hätte.

Stigmatisierung einzelner Orte und ihrer Bewohner

Montagsdemonstrationen Unzufriedener, die sich ebenfalls in der Tradition des Herbstes 1989 sahen, hatte es in Sachsen bereits vor Jahren gegeben. In Dresden und anderen Städten waren Langzeitsarbeitslose und andere Verlierer der Einheit auf die Straße gegangen, um ihren Unmut zu bekunden. Man hatte sie laufen lassen, ignoriert, und es waren mit der Zeit immer weniger geworden. Ähnlich ist es der Bürgerrechtsbewegung in Hongkong ergangen. Irgendwann konnte sie keine Massen mehr mobilisieren. Auch Proteste erfordern Abwechslung, Kreativität. Als besonders einfallsreich hatten sich die Polen in den achtziger Jahren erwiesen, als sie zum Zeitpunkt der Fernsehnachrichten ihre TV-Geräte auf den Straßen spazierenfuhren, um so auf die Lügen der Medien hinzuweisen.

„Niemand macht in der (Asyl-)Debatte den Versuch, die Ängste derer anzusprechen, die gegen weitere Zuwanderung protestieren. Wer sie ausspricht, setzt sich dem Verdacht aus, selbst fremdenfeindlich zu sein. Solange die Ängste nicht ausgesprochen werden, kann man sie aber nicht überwinden.“ Eine Erkenntnis, die Kurt Biedenkopf (CDU), zu diesem Zeitpunkt Ministerpräsident Sachsens, am 10. Oktober 1991 in seinem Tagebuch notierte. Auch damals hantierten die Medien bei ihrer Berichterstattung über Hoyerswerda und andere Orte lediglich mit Schlagzeilen, ohne sich die Zeit zu nehmen, in der Tiefe zu recherchieren. Die deutschlandweite Stigmatisierung einzelner Orte und ihrer Bewohner für die Taten einzelner setzt sich fort.

Ermittlungen wegen Volksverhetzung

Seit der Pegida-Demonstration in der vergangenen Woche ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Volkshetzung und die Stadt Dresden prüft, ob allein auf Grundlage der Ermittlungen ein Verbot der Pegida-Veranstaltung möglich ist. Anlaß sind Äußerungen zweier Politiker des belgischen Vlaams Belang, Filip Dewinter und Anke Van dermeersch, die in Dresden vor mehr als 6.000 Menschen gesprochen hatten. Auf ihrer Facebook-Seite hat Pegida die wichtigsten Aussagen, auch die angeblich volksverhetzenden, der Reden wiedergegeben. „Unsere Widerstandsbewegung in ganz Europa ist die letzten Hoffnung für ein deutsches Deutschland und ein europäisches Europa“, sagte Dewinter und erhielt dafür kräftigen Applaus. Die Masseneinwanderung sei „das Trojanische Pferd des radikalen Islams“, die Masse der Flüchtlinge eine „Armee ohne Uniform, ohne Waffen“, der Koran „eine Lizenz zum Töten“. Grenzschließungen seien die einzige Antwort auf den IS-Terrorismus: „Grenzschließung heißt nicht, man haßt die Menschen außerhalb der Grenze, sondern man liebt die Menschen innerhalb der Grenzen.“ Europa sei ein leichtes Opfer, weil „wir uns nicht trauen, für die Normen und Wertvorstellungen unseres Abendlandes einzutreten“.

Am kommenden Montag haben die Pegida-Organisatoren ihre Anhänger zum gemeinsamen Adventssingen eingeladen. Ob dieses auf dem Theaterplatz stattfinden kann, ist noch unklar. Wegen des angedrohten Verbotes durch die Stadt und weil ein Organisationskreis für Proteste gegen „Haß“ und für „Weltoffenheit“ für diesen Ort unter dem Motto „Herz statt Hetze“ ebenfalls eine Veranstaltung angemeldet hat.