© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Kein Grund für Jubelgesänge
Zweite Runde der Regionalwahlen in Frankreich: Auf den ersten Blick nur Sieger, doch alle trugen ihre Blessuren davon
Friedrich-Thorsten Müller

Die linksliberale französische Tageszeitung Libération bringt es mit ihrem Titel auf den Punkt. „Erleichtert, aber bis wann?“ Mit diesem kurzen Satz läßt sich die politische Stimmung der etablierten Politik in Frankreich nach dem zweiten Wahlgang der Regionalwahlen umschreiben.

 Zwar gelang es dem Front National (FN) im letzten landesweiten Urnengang vor der Präsidentschaftswahl 2017 nicht, in einer französischen Region die Regierungsverantwortung an sich zu reißen. Jedoch konnte die Partei in der zweiten Runde ihre Stimmenzahl nochmals um 800.000 auf 6.820.147 Stimmen ausbauen, womit sie historisch ihr bisher bestes Ergebnis erreichte.

FN verdreifachte Zahl der Regionalabgeordneten

Wichtig für den Sieg von konservativen „Republikanern“ und Sozialisten war eine im zweiten Wahlgang mit 58,4 Prozent deutlich höhere Wahlbeteiligung. Zuvor machten mit 49,9 Prozent weniger als die Hälfte der Franzosen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Letztlich dürfte aber der ohne Gegenleistung der Republikaner erfolgte Kandidaturverzicht der Sozialisten in den drei für den FN aussichtsreichsten Regionen im Norden, Osten und Südosten für das Ergebnis ausschlaggebend gewesen sein. 

In allen drei Regionen konnte der FN jedoch trotzdem sein gutes Ergebnis vom ersten Wahlgang halten oder gar ausbauen: Die Vorsitzende Marine Le Pen kam in der Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie auf 42,2 Prozent nach 40,6 im ersten Wahlgang. Florian Philippot erreichte in Elsaß-Champagne-Ardennen-Lothringen in beiden Durchgängen 36,1 Prozent. Die Nationalversammlungsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen konnte ihr Ergebnis in der Region Provence-Alpes-Côte d‘Azur gar von 40,6 auf 45,2 Prozent verbessern.

Insgesamt verdreifachte der FN die Zahl seiner Regionalabgeordneten auf etwa 350 und wird damit in vier der zwölf Festlandsregionen zur stärksten Oppositionspartei. Das Wichtigste an diesem Durchbruch ist, daß der Front National damit beim nächstenmal ohne das Wohlwollen sympathisierender Mandatsträger der etablierten Parteien zu der Präsidentschaftswahl wird antreten können. Für eine Kandidatur sind laut Verfassung 500 „Patenschaften“ von Mandatsträgern und Bürgermeistern nötig, wodurch die Wahlteilnahme des FN mangels ausreichender eigenen Vertreter bisher meist bis zur letzten Minute auf der Kippe stand.

Insgesamt stehen – auch aufgrund des Kandidatenrückzugs der Linken in drei großen Regionen – bei diesen Regionalwahlen Nicolas Sarkozys Republikaner mit 40,2 Prozent der Stimmen als eher glanzloser Sieger da. Die Sozialisten erreichten dank der Zehn-Prozent-Hürde für die Teilnahme am zweiten Wahlgang 28,9 und der FN 27,1 Prozent der Stimmen. Die Republikaner konnten sieben Regionen gewinnen, gegenüber fünf, die an die Sozialisten gingen. Zuvor hatten die Sozialisten 21 von 22 Regionen regiert, die im Zuge einer Regionalreform  dieses Jahr auf 12 Festlandsregionen reduziert wurden. Übrigens trug auch diese Reform zum Wahlsieg der Etablierten bei: Im alten Regionalschema wäre die Region Languedoc-Roussillon im zweiten Wahlgang mit 40,4 Prozent für Louis Aliot an den Front National gegangen. 

Interessant ist auch noch, daß die kleine dreizehnte Region Korsika an die Autonomiebewegung „Pè a Corsica“ (Für Korsika) fiel. Die Insel wird damit zukünftig von Gilles Simeoni, einem tief in der früher militanten korsischen Unabhängigkeitsbewegung verstrickten Rechtsanwalt, regiert werden. Noch mehr Ungemach aus anderen Landesteilen mit starker Regionalidentität scheint dem französischen Zentralstaat aber nicht zu drohen. Die Zahl der Stimmenthaltungen und ungültigen Stimmen stieg zwar im Elsaß entsprechend dem Wahlaufruf der Regionalpartei „Unser Land“ in einzelnen Landgemeinden auf deutlich über zehn Prozent an. Auf der Ebene der Gesamtregion Elsaß-Champagne-Ardennen-Lothringen blieb deren Anteil mit fünf Prozent aber in beiden Wahlgängen nahezu gleich.

Für die Sozialisten des auch nach seinem beherzten Umgang mit den Paris-Attentaten eher unpopulären Präsidenten François Hollande kommt das Ergebnis insgesamt einer Katastrophe gleich. Nicht nur, daß sie ihre hegemoniale Position in den Regionen eingebüßt haben. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs, in dem sie fast fünf Prozentpunkte hinter dem FN lagen, erhärtet auch den Verdacht, daß sie bei den Präsidentschaftswahlen 2017 den Einzug in die Stichwahl verpassen könnten. Parteichef Jean-Christophe Cambadélis fordert daher ein „Umdenken“ von der eigenen Regierung beim Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Auch soll nun ein neues starkes linkes Bündnis geschmiedet werden. 

Unmut über Sarkozys „Stalinismus“

Marine Le Pen reagierte dagegen trotzig auf die „Verschwörung der goldenen Paläste“, die ihr durch politische Winkelzüge den Wahlsieg geraubt habe. Sie schwört ihre Anhänger noch mehr auf den neuen Kampf „zwischen Globalisierungsanhängern und Patrioten“, statt zwischen links und rechts ein, „der künftig unser politisches Leben strukturiert“. 

Doch auch Sarkozy geht nicht ohne Blessuren aus dem Rennen. So muß er wieder um seine erneute Präsidentschaftskandidatur bangen. Für seine Weigerung, als Parteichef mit den Sozialisten Wahlabsprachen gegen den FN zu treffen, wurde er parteiintern heftig kritisiert. Die Kritik ging so weit, daß er zur Befriedung des Konflikts seine Stellvertreterin Nathalie Kosciusko-Morizet kurzerhand aus der Parteiführung warf. Nicht nur sie legte ihm dies als „Stalinismus“ aus und wird bei den geplanten Vorwahlen der Partei gegen ihn opponieren.

Foto: Marine und Marion Maréchal-Le Pen (r.): Beide konnten zulegen – trotzdem reichte es nicht zum Sieg