© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Stefan Aust verordnet weniger Mainstream
„Die Welt“: Der neue Chefredakteur kann der Zeitung neue Impulse geben / Stoppt das auch den Sinkflug?
Ronald Berthold

Der Abstieg ist beispiellos. In den vergangenen acht Jahren hat Die Welt 35 Prozent ihrer Abonnenten und sogar mehr als 60 Prozent ihrer Kioskkäufer verloren. Welt und Welt kompakt  werden laut IVW noch von 87.513 Abonnenten gelesen, darunter 9.000 E-Paper-Kunden. Die verkaufte Auflage liegt bei 192.396 Exemplaren. Für eine überregionale Tageszeitung sind diese Zahlen alarmierend.

Doch das Unternehmen Axel Springer argumentiert anders. Gemeinsam mit dem dazugekauften Nachrichtensender N24 und dem Internetportal welt.de habe die Bedeutung des Flaggschiffes sogar zugenommen. 

Trotzdem hat der Verlag das gemacht, was immer passiert, wenn es so radikal bergab geht: Er hat zunächst das Design des Zeitungskopfes geändert – das „e“ von Welt wird nun klein geschrieben, während die anderen drei Buchstaben groß bleiben. Das solle die Integration in das digitale Zeitalter verdeutlichen. Journalisten sitzen oft dem Irrglauben auf, ein optischer Relaunch würde neue Kunden bringen.

Wichtiger wäre jedoch ein inhaltlicher Relaunch, um verlorene Leser zurückzugewinnen. Das einst konservative Blatt hat der treuen Kundschaft einiges zugemutet. Viele wußten weder bei den Kommentaren noch bei den sogenannten Berichten, ob sie die linke Frankfurter Rundschau oder ihre gute alte Welt aufschlugen. Ergebnis: Es hagelte Abbestellungen.

Weil ein schickes kleines „e“ wohl doch nicht reicht, hat die Zeitung ihren genauso hochgelobten wie erfolglosen Chefredakteur nach 13 Jahren getauscht. Statt Jan-Eric Peters, der im Springer-Deutsch sogenannter „Chief Product Officer“ für den „News-Aggregator Upday“ wird, kommt nun ein journalistisches Urgestein ans Ruder in der Kochstraße: Stefan Aust (Porträt, Seite 3). Der Gründer von Spiegel TV und langjährige Chefredakteur des gedruckten Nachrichtenmagazins soll Die Welt wohl nicht auf Erfolgskurs bringen – das wäre ein Wunder, das er nicht schaffen kann. Aber zumindest den totalen Absturz soll der 69jährige verhindern. 

Aust, bisher Herausgeber, steigt nun wieder ins operative Geschäft ein und macht das Blatt. Als Spiegel-Chef bewies er, daß er das kann. Dem miefigen linken Nachrichtenmagazin hauchte er Leben ein, verstaute den überheblichen Schreibstil im Giftschrank und öffnete das Blatt weit über die Toskana-Fraktion von Linken, SPD und Grünen hinaus für andere Entscheider. Plötzlich tauschten Redakteure Moral gegen Fakten, und dem Leser wurden auch mal Angriffe auf die Politische Korrektheit serviert.

Aust übernimmt den neuen Posten nur kommissarisch

Viele Leser holte er damit vom Focus zurück. Und als er im Februar 2008 gehen mußte, hatte er den Spiegel bei einer Auflage von mehr als einer Million Exemplaren stabilisiert. Mit seinem Abgang verschwand auch der frische Wind, und die sich stets für herausragend haltende Redaktion vergewissert sich nun wieder jeden Tag aufs neue, wie menschlich überlegen sie ist und wen sie aufgrund ihrer politischen Überzeugung zum Abschuß freigibt. Nach Austs Demission ging die Auflage in den Sinkflug. 19 Prozent der Abonnenten und 34 Prozent der Kioskkäufer sagten seitdem adieu.

Der hippe, bei Springer so genannte „Upschied“ von Peters soll mit der englischen Vorsilbe (deutsch: hoch, auf) als interner Aufstieg im Unternehmen verkauft werden und belügt damit nicht nur die Leser, sondern auch die Mitarbeiter. Peters erschien zu dieser merkwürdigen Veranstaltung im schwarzen T-Shirt mit weißem neuen „WeLT“-Schriftzug, Lederjacke und trank aus der Flasche. Der 50jährige kam sich richtig cool vor und glaubte wohl wirklich an den faulen Zauber um seinen „Upschied“.

Nun kommt also Aust. Aber Springer traut dem immer noch tatendurstigen Blattmacher nicht wirklich über den Weg. Denn er übernimmt die Aufgabe nur „kommissarisch“. Offenbar sucht der Verlag bisher vergeblich nach einer Führungsfigur, die er für besser geeignet hält.

Doch das alte Schlachtroß scheint sich darum nicht zu scheren. In seinem ersten Editorial als Chefredakteur spricht er von „aufregenden, ja beunruhigenden Zeiten“ und führt aus: „Eine Million Flüchtlinge in Deutschland, eine Koalition, bei der jeder in der Öffentlichkeit etwas anderes sagt als unter vier Augen. Und eine Bevölkerung, die nicht mehr so recht weiß, wen sie eigentlich wofür gewählt hat.“ Bemerkenswert auch, daß er die Journalisten ermahnt, zu „informieren“, eigentlich eine Branchen-Selbstverständlichkeit, doch die hat es zunehmend schwer gegen ihre diabolische Schwester „manipulieren“.

Und dann verspricht er seinen Lesern, daß Die Welt künftig jenseits der „Angepaßtheit an den wechselnden Mainstream“ berichten werde. Der Branchendienst „Meedia“ wertete dies als „Absage an den sogenannten medialen Mainstream“ – laut Medienwissenschaftlern übrigens ein Synonym für „Lügenpresse“. Gelingt Aust dies, dann kann er den Welt-Absturz vielleicht aufhalten. Andererseits dürfte es in Verlag und Redaktion richtig eng für ihn werden – denn dort will man vor allem eins: Mainstream sein.