© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Vom Polarkreis bis zum fernsten Süden
Brücke von der Front zur Heimat: Die erste Weihnachtsringsendung des Großdeutschen Rundfunks setzte technisch und propagandistisch neue Maßstäbe
Felix Krautkrämer

Zufrieden notierte der Sicherheitsdienst der SS am 9. Januar 1941 in seinem geheimen Lagebericht über die Stimmung im Volk, die „Gesamtgestaltung des Großdeutschen Rundfunks“ sei während der zurückliegenden Weihnachtsfeiertage laut Meldungen aus allen Gauen „als außerordentlich wirkungsvoll“ empfunden worden. Den weitaus tiefsten Eindruck habe aber die Ringsendung des Großdeutschen Rundfunks „Von Narvik bis zur Biskaya“ am Nachmittag des 24. Dezember hinterlassen. Sie habe „über alles gut gefallen“ und stelle eine „technische Glanzleistung dar“.

Die erste Weihnachtsringsendung war in der Tat eine technische Herausforderung, setzte aber auch vom propagandistischen Standpunkt neue Maßstäbe. Die einstündige Sendung sollte laut Propagandaminister Joseph Goebbels die Soldaten in den besetzten Gebieten mit ihren Angehörigen in der Heimat verbinden und ihnen das „Gefühl des gemeinsamen Erlebens der Feiertage“ vermitteln – allerdings ohne dabei „Rührseligkeit“ zu verbreiten.

Unter der Moderation von Werner Plücker, auf den auch das Konzept der Ringsendungen zurückgeht, wurde unter anderem nach Narvik, Warschau und Graz, aber auch auf den Feldberg und den Brocken geschaltet – und das live. Selbst ein Aufklärungsflugzeug an der englischen Küste und ein Zerstörer im Atlantik wurden gerufen. Ebenso Soldaten in Rumänien. Deren Grüße in die Heimat sowie der Bericht des Fliegers über der englischen Nordseeküste waren jedoch zuvor aufgezeichnet worden. 

Einzige erhaltene Sendung

Auch waren die einzelne Texte und Beiträge der jeweiligen Soldaten keineswegs so spontan, wie sie durch die Radiogeräte in die deutschen Wohnzimmer drangen, sondern vorab mit den Propagandakompanien besprochen und Tage zuvor einstudiert worden. Dennoch ließ sich die Rührung einiger Beteiligter nicht unterdrücken, so zum Beispiel als eine Mutter über das Mikrofon mit ihrem Sohn sprach oder eine Schwester ihren Bruder grüßte und ihm die Weihnachtswünsche der gesamten Familie übermittelte. Auch gelang es Studiosprecher Plücker, mehrere Brüder, die an verschiedenen Orten stationiert waren, per Liveschalte miteinander zu verbinden. Plücker endete die Sendung mit den Worten „Deutsche Weihnacht ist es jetzt vom Polarkreis bis zum fernsten Süden, vom Atlantik bis zum Ostraum, auf See und über See und in fremden Erdteilen. – Wachsame, wehrhafte und trotz allem wundervolle Weihnacht.“

Es war die erste von insgesamt vier Weihnachtsringsendungen und ist die einzige, die heute noch fast vollständig als Tondokument erhalten ist. Vom Heiligabend 1942 existieren lediglich die letzten fünf Minuten der Sendung als Tonaufnahme, in denen Moderator Plücker nochmals alle Frontabschnitte zusammenschaltete, damit die Soldaten gemeinsam „Stille Nacht“ anstimmten. Gerufen wurden unter anderem der Eismeerhafen Liinahamari, die Lapplandfront, Soldaten in Frankreich, am Golf von der Biskaya, die Kaukasusfont, die Krim, Kreta, ein U-Boot im Atlantik und Stalingrad. Doch das gemeinsam gesungene „schöne, alte, deutsche Weihnachtslied“ wirkte wenig feierlich. Vor allem an der Ostfront und hier insbesondere in Stalingrad, „der Front an der Wolga“, wollten die Soldaten ihre Bedrückung offenbar nicht mehr verbergen.