© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Autobiographie aus dem Offizierskasino
Peter Scholl-Latours Vermächtnis ist ein Selbstporträt, das nur wenig über ihn verrät
Nicolaus Fest

Vergangenes Jahr starb Peter Scholl-Latour. Nun ist etwas erschienen, was er selbst im Vorwort Autobiographie nennt. Das ist es nicht. Scholl-Latour war an vielem interessiert, an Charles de Gaulle, dem nordvietnamesischen General Giap, François Mitterrand und diversen afrikanischen Heroen; an sich selbst war er es nicht. Nie reflektiert er sein Verhalten, nie stellt er irgend etwas in Frage. Alles ist, wie es ist. 

Das ist ein denkbarer Ansatz für Reiseberichte, und das ist das Buch auch: Ein „Reader’s Digest“ seiner früheren Werke. Aber es ist eben weit entfernt von dem, was Autobiographie heißen sollte. Was er liest – und er war belesen – erfährt man sowenig wie seine Interessen jenseits von Krieg und exotischen Ländern. War er musisch, begeisterte er sich für Kunst oder Fußball, liebte er Gedichte? Was dachte er über die deutsche Politik, über Wiederbewaffnung, Ostverträge, RAF, Wiedervereinigung? Über Adenauer, Brandt, Schmidt? Keine Antworten. 

Seine wunderbare Frau, viele Jahre an seiner Seite, wird ein einziges Mal erwähnt: Sie habe die Terrasse ausgebaut. Und auch über den Sohn findet sich nur ein Satz: „Im Presseclub Hanoi fand ich ein Telegramm aus Saarbrücken vor, in dem meine damalige Frau mir mitteilte (...), daß ich Vater meines Sohnes Roman geworden war.“ Die Abwesenheit bei Geburt als Girlande und Ausweis journalistischer Leidenschaft. 

Männer erklären nichts, hinterfragen nichts

Und mittelbar auch von mehr. Was sich in solchen Notierungen offenbart, ist ein sehr männliches, längst vergangenes Selbstverständnis. Männer treibt ein abenteuerliches Herz zu afrikanischen Spielen. Sie interessieren sich für Waffen, Krieg, den Feind, vielleicht noch für Nutten und Alkohol; alles andere, ob Psychologie oder Kinder, ist Frauenkram. Männer erklären nichts, hinterfragen nichts. Sie nehmen die Dinge, wie sie eben sind. 

Das ist nicht unsympathisch, weil so fern jeden Zeitgeistes. Aber es hat seinen Preis, und nicht der geringste ist die bekannte Wurstigkeit im Ausdruck. Ein Flugzeug, das „zwei Übernachtungen braucht“, ein Kommando, das „einen Toten einbüßt“, ein paar Wasserbüffel, die man „abknallt“. Zu den „émotions fortes“ der Männlichkeit scheint die Liebe zur Sprache nicht zu gehören.

So ist es ein zwiespältiges Buch. Scholl-Latour war ein großer Journalist, ein Chronist vieler Länder, ein Mann. Und nicht zuletzt ein Soldat unter Soldaten. Aber Offizierskasinos sind kein Ort für Reflexionen. 

Peter Scholl-Latour: Mein Leben. C. BertelsmannVerlag, München 2015, gebunden, 444 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro