© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Vom Geist des deutschen Nordens
Die Sagen unserer Heimat: Ein wunderschön illustriertes Buch für lange Winterabende mit Kindern
Felix Krautkrämer

Winterzeit ist Märchenzeit. Wenn die Abende lang und die Tage kurz sind, bieten die alten Sagen oftmals eine dankbare Abwechslung zum Fernsehprogramm des Kinderkanals. Trotz Star Wars, The Clone Wars, SpongeBob oder Ninjago ziehen die Geschichten und Fabeln auch heute noch Kinder in ihren Bann. Ob Hexen, Zwerge, Feen oder Zauberer, ob listige Füchse, gute Geister, böse Stiefmütter, gierige Wölfe oder raufende Räuber: Am Ende siegt zumeist doch das Gute, und der vor allem bei Kindern noch ausgeprägte Sinn für Gerechtigkeit wird zufriedengestellt. Gerade die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch macht es auch für Kleinere einfach, sich in die Erzählung hineinzuversetzen und die Geschichte mitzuerleben. 

Klabautermann, Moorbraut und andere Elementarwesen

Und wer würde nicht gerne selbst sagenhafte Schätze entdecken und fremde Königreiche und Prinzessinnenherzen erobern? Neben den klassischen Märchen, deren Überlieferung und Bekanntheit den eigenen Eltern und Großeltern ebenso zu verdanken ist wie den Gebrüdern Grimm, zeichnet sich der deutsche Sagenschatz vor allem auch durch eine Fülle an regionalen Geschichten, Fabeln und Gleichnissen aus. Da sind zum Beispiel die Sagen der Alemannen, des Rheinlands, aus dem Bayerischen Wald, dem Riesengebirge, die Sagen der Sachsen oder jene von der Ostsee. Ob Rübezahl oder Moorgeist: Jede Region und jeder Stamm hat seine eigenen, oft über Jahrhunderte hinweg weitergegebenen und fortgeschriebenen lokalen und landsmannschaftlichen Erzählungen, in denen häufig auch die für die dortigen Menschen typischen Charaktereigenschaften und Wesenszüge zum Vorschein kommen.

Für Norddeutschland hat der Bremer Carl-Schünemann-Verlag nun eine Sammlung von Sagen und Märchen zusammengestellt. Herausgekommen ist ein Band mit vierzig Erzählungen, die von der Berliner Illustratorin Julia Beutling liebevoll bebildert wurden. Das Buch enthält bekannte Sagen, wie die des Rattenfängers zu Hameln oder der Bremer Stadtmusikanten, aber auch schon fast vergessene, wie jene vom Fräulein Maria von Jever.

Ob die Raubzüge von Klaus Störtebeker und Godeke Michels und ihrem Ende auf dem Hamburger Grasbrook, die Narreteien des Schalks Till Eulenspiegel aus Mölln oder die Legende vom Fliegenden Holländer: Sie alle tauchen in „Norddeutsche Sagen und Märchen“ auf und machen den Band zu einem idealen Vorlesebuch für lange Winterabende. Vor allem das Kapitel „Von Geistern & Gespenstern“ mit den Geschichten vom Klabautermann, der Moorbraut sowie der schwarzen Greet dürften bei jüngeren Zuhörern durchaus noch für Gruseln sorgen.

Man muß nicht zwangsläufig aus der norddeutschen Tiefebene oder von der Küste stammen, um sich für die dortigen Märchen zu begeistern. Und das gilt längst nicht nur für Kinder. Wer sich vor Piraten und Gespenstern nicht fürchtet, kann bei einem Grog selbst noch in die eine oder andere Sage eintauchen, während der Nachwuchs bereits im Bett liegt und vom Kampf tapferer Helden, von Räubern oder fleißigen Zwergen träumt.

Norddeutsche Sagen und Märchen, illustriert von Julia Beutling. Carl-Schünemann-Verlag, Bremen 2015, gebunden, 188 Seiten, 24,90 Euro