© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Ein Puzzle, das nicht aufgeht
Spanien: Der Sturz der konservativen Alleinregierung hinterläßt mehr Verwirrung als strahlende Sieger
Michael Ludwig

Die spanischen Wähler haben dem traditionellen Zwei-Parteien-System aus Konservativen und Sozialisten eine herbe Abfuhr erteilt und dem Land eine unsichere politische Zukunft beschert. „Das neue Parlament wird ein Puzzle sein mit mehr Teilen, als es das frühere hatte, die sich zudem wegen ihrer Unvereinbarkeit nur schwer einfügen lassen“, kommentierte die Madrider Tageszeitung El País den Ausgang der Parlamentswahlen auf der Iberischen Halbinsel am vergangenen Sonntag. 

Sowohl für die konservative Regierungspartei PP unter Ministerpräsident Mariano Rajoy wie auch für die oppositionellen Sozialisten (PSOE) wird es schwer sein, geeignete Koalitionspartner zu finden, um eine stabile Regierung zu bilden. Spanien, immerhin auf Platz 13 der größten Industrienationen weltweit, droht sowohl auf europäischer wie auch auf internationaler Ebene zu einem unsicheren Kantonisten zu werden.

Altsozialisten fuhren ihr schlechtestes Ergebnis ein  

Daß die PP das grandiose Wahlergebnis vor vier Jahren, als sie die absolute Mehrheit erringen konnte, nicht würde halten können, war allen politischen Beobachtern klar. Zu sehr hatte die wirtschaftliche Krise das Land gebeutelt, zu drastisch waren die Sanierungsmaßnahmen ausgefallen, die der Bevölkerung einiges an Verzicht zugemutet hatten. Hinzu kam eine Reihe von Korruptionsfällen, die  in den Augen vieler Wähler die PP unwählbar machten. Die Hoffnung Rajoys, daß der Silberstreif am Horizont der wirtschaftlichen Gesundung – die Zahl der Arbeitslosen ist leicht gesunken, das Bruttosozialprodukt stark gestiegen – von den Spaniern  honoriert werden würde, trog. Die PP rutschte von fast 45 Prozent der Wählerstimmen auf 28,7 ab, statt 186 stellt sie jetzt nur noch 123 Abgeordnete in der Cortes.

Nicht viel besser erging es den Sozialisten, die ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dem Ende der Franco-Diktatur (1975) einfuhren. Mit lediglich 22 Prozent kommen sie auf 90 Parlamentssitze, das sind 20 weniger als bisher. Oppositionsführer Pedro Sanchez hat es immerhin geschafft, daß die PSOE zweitstärkste politische Kraft im Land bleibt, was nicht selbstverständlich war, denn die radikal linke Protestpartei Podemos war in den Umfragen vor dem Urnengang immer wieder an den Sozialisten vorbeigezogen.

Der eigentliche Gewinner der Wahlen ist Pablo Iglesias mit Podemos. Mit 20,7 Prozent Wählerstimmen schickt die erst vor knapp zwei Jahren gegründete Formation 69 Abgeordnete ins Parlament. Iglesias, der ehemalige Politikprofessor mit dem Pferdeschwanz, rief in der Wahlnacht vor Tausenden seiner Anhänger eine neue politische Ära aus: „Spanien hat für einen Wechsel gestimmt, das gegenwärtige System ist nicht länger zu halten.“

Enttäuschend schnitt hingegen die zweite neue Partei ab, die bürgerlichen Ciudadanos. Sie kamen auf 13,9 Prozent, das entspricht 40 Abgeordneten. Offensichtlich ist es ihrem Vorsitzenden Albert Rivera und seiner Mannschaft nicht gelungen, die zuletzt auf 40 Prozent geschätzten unentschlossenen Wahlberechtigten von ihrem Kurs zu überzeugen; viele von ihnen entschieden sich dann doch für die linke Alternative Podemos.

Die Frage ist nun, wie es weitergehen soll. Noch in der Wahlnacht erklärte Rajoy, daß seine Partei die meisten Stimmen erhalten und somit die Wahl gewonnen habe: „Ich werde versuchen, eine stabile Regierung zu formen.“ Ob ihm das gelingen wird, ist allerdings fraglich, auch wenn er es schaffen sollte, die Ciudadanos mit ins Boot zu holen – zusammen verfügen beide bürgerliche Parteien über 163 Sitze, 176 sind aber für die absolute Mehrheit notwendig. Die restlichen Mandate müßte sich Rajoy bei Splitterparteien besorgen, eine ausgesprochen undankbare Aufgabe, die, sollte sie gelöst werden, allerdings für wenig Stabilität sorgen dürfte.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums schaffen es auch PSOE und Podemos nicht, eine gemeinsame parlamentarische Mehrheit hinzubekommen. Ihnen fehlen dazu 17 Mandate. Allerdings dürfte es dem linken Block leichter fallen, diese herzustellen, denn unter den kleineren Parteien, die den Sprung in die Cortes geschafft haben, ist eine ganze Reihe mit sozialistischem  Anstrich.

Große Koaltion erscheint unwahrscheinlich 

Relativ unwahrscheinlich ist eine große Koalition zwischen PP und PSOE, die in den vergangenen Tagen immer wieder ins Gespräch gebracht wurde. Zu groß sind die ideologischen Unterschiede, aber auch die persönlichen Animositäten des Führungspersonals beider Parteien untereinander. Vor allem der aggressive und rüde Ton, mit dem PSOE-Chef Sánchez Ministerpräsident Rajoy während eines TV-Duells angegangen und ihm die persönliche Integrität abgesprochen hatte, dürfte die Gräben noch vertieft haben.

Sollte Spanien künftig links – und damit unter Zuhilfenahme der Nato-kritischen Podemos regiert werden – hätte dies unübersehbare Konsequenzen über die Grenzen des Landes hinaus. Griechenland, seit kurzem Portugal und nun auch Spanien würden der EU erhebliches Kopfzerbrechen in bezug auf wirtschaftliche Gesundung bereiten. Hinzu kommt, daß das konservative Madrid seine Grenzen gegenüber Nordafrika vor Flüchtlingsströmen effektiv schützte.