© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Das Spiel der großen Zentralbanken mit der Zinswende
Unsicherer Hafen
Thorsten Polleit

Die US-Zentralbank Fed hat am 16. Dezember den Leitzins auf 0,25 bis 0,5 Prozent erhöht (vorher: 0 bis 0,25 Prozent). Es war die erste Zinsanhebung nach sieben Jahren. Ist damit aber eine Zinswende eingeleitet, die die Zinsen auf „normale“ Niveaus zurückbefördert? Die Antwort muß negativ ausfallen. Denn das Schuldgeldsystem funktioniert nur, wenn die Zinsen sehr niedrig bleiben: Gedrückte Zinsen sind unverzichtbar, soll das auf Kredit aufgebaute Wirtschaftsgebäude nicht ins Wanken geraten oder gar einstürzen.

Warum hat dann die Fed die Zinsen – wenngleich nach langem Zögern – überhaupt angehoben? Die Fed-Entscheider wissen vermutlich, daß eine dauerhafte Nullzinspolitik früher oder später zum Problem wird. Setzt sich bei Anlegern die Erwartung durch, daß die Zinsen auf „ewig“ an der Nullinie verharren, gerät die Kreditpyramide in Schieflage. Für Anleger wären nämlich Termin- und Spareinlagen, Staats- und Bankschuldpapiere, Lebensversicherungen und Geldmarkt- und Rentenfondsanteile nicht mehr attraktiv. Dann aber würde das Kreditangebot einbrechen.

Wenn hingegen die Anleger erwarten, daß die Zinsen nur „vorübergehend“ niedrig sind und „bald“ wieder steigen beziehungsweise normalisiert werden, werden viele von ihnen nicht aus ihren festverzinslichen Papieren fliehen, sondern ausharren und auf höhere Zinsen hoffen. In einer Tiefzinsphase ist es folglich überlebenswichtig für das Schuldgeldsystem, daß die Erwartung künftig steigender Zinsen wachgehalten wird. Gleichzeitig muß es der Zentralbank aber auch gelingen, die versprochene „Zinsnormalisierung“ immer weiter in die Zukunft zu verschieben – ohne daß der Zins tatsächlich wieder normalisiert wird. Die Fed-Entscheider praktizieren dieses Spiel meisterhaft; sie scheinen das Drehbuch von „Warten auf Godot“ aufmerksam studiert zu haben. Die Jubelrufe der Banken- und Finanzbranche sind ihnen sicher.

Daß die Fed als führende Zentralbank ihren Leitzins nun angehoben hat, sollte Anleger also nicht zur Hoffnung verleiten, mit traditionellen festverzinslichen Anlagen ließe sich bald wieder etwas verdienen. Die Zinsen werden sehr niedrig bleiben, in den USA, wo es 2000 noch 6,5 Prozent waren, aber auch in den anderen großen Währungsräumen. Zum Leid vieler Anleger. Denn eine Rückkehr zur Normalität in der Altersvorsorge wird es folglich nicht geben. Immerhin ist der US-Zins jetzt wieder oberhalb der Nullinie.

Anleger aus dem Euroraum haben so die Möglichkeit, der Entwertung ihrer Ersparnisse, für die die Europäische Zentralbank (EZB) sorgt, zu entgehen. Nach dem Motto: Wenn man schon ungedecktes Papiergeld hält, dann Dollar und nicht Euro. Für den Dollar spricht natürlich auch die Aussicht, daß er aufgrund seiner Stellung als „sicherer Hafen“ vermutlich weiter aufwerten wird, insbesondere gegenüber der Euro-Einheitswährung.