© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

„Wir in Aldersbach sind gegen die Dose“
Interview: Der Familienunternehmer Freiherr von Aretin über den Umbruch auf dem Biermarkt
Wolfhard A. H. Schmid

Herr von Aretin, über 1.300 Braustätten produzieren in Deutschland – fast die Hälfte davon liegen in Bayern. Als mittelständischer Familienunternehmer leiten Sie die Brauerei Aldersbach, eine der traditionsreichsten in Niederbayern. In ganz Norddeutschland gibt es hingegen nur 110 Braustätten. Und sollte die Fusion der Konzerne AB Inbev und SAB Miller zustande kommen, käme künftig jedes dritte Bier, das weltweit getrunken wird, von dem dann übermächtigen Brauriesen. Und durch die Übernahme regionaler Bierhersteller ist indirekt auch der Mittelstand betroffen. Die Münchner Brauereien sind – mit Ausnahme von Augustiner und dem staatlichen Hofbräu – schon in Konzernhand. Spüren Sie schon diesen Konkurrenzdruck?

Aretin: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Grundsätzlich sind mir die Marktanteile der Großen wurscht. Ihre Produktstrategie wird von den Konzernzentralen gesteuert. Die Stärke der mittelständischen Bierbrauer liegt in ihrer Produktvielfalt und Qualität.

Wie wird auf den Verdrängungswettbewerb durch Großbrauereien reagiert?

Aretin: Konsequent versuchen, auch über die Getränkemärkte Bier zu verkaufen. Mit der Werbung „Edelstoff“ hat etwa die Augustinerbrauerei in den Getränkemärkten gute Erfolge erzielt. Wir werben mit unserer Qualitätsvielfalt. Neben den Getränkemärkten sind für uns die Lieferungen frei Haus und an die Gastwirtschaften wichtig. In Niederbayern sind wir der größte Lieferant von insgesamt 70 Volksfesten. Letzteres erfordert allerdings bei einem engen Zeitfenster eine gute Logistik, da oft nur innerhalb von drei bis vier Tagen das nächste Volksfest stattfindet. Der Druck ist hier groß. Den Volksfestbesucher mag es vielleicht erstaunen, wenn ich sage, der Bierpreis ist dort zu niedrig. Warum? Der Bierkonsum ist mit nur einem Liter pro Person und Sitzplatz gering, und man hat bei den Festwirten dadurch das Problem, Bedienungen herzuschaffen. Bei einem geringen Umsatz lehnen es viele Bedienungen ab, nur bei Umsatzbeteiligung bei einem Volksfest tätig zu werden.

Viele kleinere Privatbrauereien konzentrieren sich auf ihre regionalen Stammkunden und scheuen größere Investitionen.

Aretin: Bei den Kleinen sind die Fixkosten relativ hoch. Sie können nur auf Kosten ihres Gewinns wachsen. Deshalb scheuen sie zusätzliches Wachstum.

Gibt es dazu eine kritische Umsatzgröße?

Aretin: Der Nachteil kleiner Brauereien besteht darin, daß sie für ihre stündliche Leistung wesentlich höhere Personalkosten haben. Wo die kritische Umsatzgröße liegt, kann nicht gesagt werden, da die Ausgangslage bei den einzelnen Betrieben sehr unterschiedlich ist.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) belastet energieintensive Unternehmen – auch Ihre Brauerei, die sicher nicht zu den fast 3.000 staatlich „bevorzugten Abnahmestellen“ mit EEG-Rabatt gehört?

Aretin: Wir haben das Thema durch ein Blockheizwerk mit Kraftwärmekopplung gelöst. Anfangs hatten wir mit dem empfohlenen Biogas große Probleme, heute kommt das Gas aus der Pipeline.

Sie sehen die Energiewende kritisch?

Aretin: Das kann man schon sagen, solange lauter selbsternannte Fachleute das Sagen haben. Uns hatte man angeraten, ein schlechtes Südhangfeld aus unserem Areal für Solarstrom zu verpachten. Das Konzept ist jedoch fragwürdig. Die Erfahrung zeigt, wenn der Staat seine Finger im Spiel hat, geht es meistens in die Hose. Aber solange uns eine gute Pacht bezahlt wird, kann es uns egal sein.

Viele Großbrauereien lagern ihr Bier nur vier Wochen bis zur Auslieferung. Privatbrauereien argumentieren dagegen, daß eine achtwöchige Lagerungszeit die Bierqualität wesentlich verbessere.

Aretin: Längere Lagerung ist schon wichtig. Aber noch wichtiger ist für die Qualität die langsame Vergärung der Hefe. Neue Hefesorten erlauben eine Gärungszeit von unter 24 Stunden. Wir vergären unsere Biere etwa eine Woche.

Beck’s-Bier kam früher per Schiff in die USA. 2002 wurde die Bremer Traditionsbrauerei von der belgischen Interbrew geschluckt. Seit 2012 wird Beck’s auch in Missouri gebraut, der Konzern warb aber weiter mit deutscher Herkunft. US-Kunden klagten – und erhielten für jedes „falsche“ Sixpack 50 Cent Entschädigung. Bayerische Biere haben weltweit weiterhin einen guten Ruf – oder wird Qualität nur noch durch Werbeaktionen suggeriert?

Aretin: Sie können den Leuten Geschmack nur bedingt einreden. Und ich kann nur bestätigen, daß die Bevölkerung der USA sehr sensibel ist, wenn die Werbung etwas verspricht, was in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.

Großbrauereien bieten Bier via Aldi, Lidl & Co. in Dosen und in Plastikflaschen an. Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Aretin: Für uns ist das nicht denkbar. Beim Export kommt man an der Dose aber nicht vorbei. Manche Biertrinker kaufen sich noch schnell ein Dosenbier im Tankstellenshop. Im Kühlschrank wird es dann sehr schnell kalt, aber auch beim Trinken sehr schnell wieder warm. Wir in Aldersbach sind gegen die Dose.

Der Deutsche Brauer-Bund vertritt Konzerninteressen. Die familiengeführten Konkurrenten sind im Verband Private Brauereien organisiert. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem Verband gemacht?

Aretin: Nächstes Jahr wird bayernweit 500 Jahre Bayerisches Reinheitsgebot gefeiert. Vor der Festlegung der 26 Wochen dauernden Feierlichkeiten hat Aldersbach ein Konzept für die sieben bayerischen Regierungsbezirke vorgelegt. Darin wurde festgehalten, daß jede Woche maximal zehn Brauereien ihr Bier vorstellen können. Man war aber nicht in der Lage, die sieben Bezirke unter einen Hut zu bringen. Die drei fränkischen und der Bezirk Schwaben sind nicht vertreten. So wurde die Aktion verwässert.

In Deutschland gibt es über 5.000 Biersorten, die Zahl der Hausbrauereien wächst. Das Bayerische Reinheitsgebot wurde 1906 vom Kaiserreich für alle deutschen Biere übernommen – es gilt bis heute. Gegner des Reinheitsgebots erhoffen sich durch seine Abschaffung Aufschwung im Biermarkt.

Aretin: Die bayerischen Brauereien brauen ihr Bier nach dem Reinheitsgebot und das wird so bleiben. Die Qualitätsbandbreite entsteht durch die unterschiedlichen Hopfen- und Malzsorten.

Bis 1987 durften Importbiere, die nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurden, nicht als Bier bezeichnet werden. Dies gilt heute nicht mehr. Ein Vorteil für Sie?

Aretin: Ein Nachteil. Wer schaut schon mit der Lupe auf die Flasche, um festzustellen, welche Inhaltsstoffe im Bier sind.

Das Freihandelsabkommen TTIP wird von Großkonzernen vehement unterstützt, weil es den Export in die USA erleichtern soll. Verbraucher und Teile der Nahrungsmittelindustrie sorgen sich um Qualitätsstandards. Wie stehen Sie zu TTIP?

Aretin: Als Brauer befassen wir uns eigentlich nur mit dem Reinheitsgebot. Wenn wir danach weiter brauen können, ist das für uns in Ordnung. Ich glaube aber, daß die USA eher Angst vor unserer Wirtschaftskraft haben. Als aktuelles Beispiel fallen mir die enorm hohen Auflagen beziehungsweise die angekündigten Strafen für den VW-Konzern ein.

EU-Regelungen führen zu immer größerem bürokratischen Aufwand. Ist dies eine zusätzliche Kostenbelastung für Sie?

Aretin: Für uns Brauer ist der statistische Aufwand und das Berichtswesen, mit dem wir uns befassen müssen, schon groß. Wenn wir aber weiter nach dem Reinheitsgebot brauen dürfen, ist das Ganze für uns in Ordnung.

Die Biernationen Dänemark, Großbritannien oder Tschechien leben mit Pfund und Krone prima. Angela Merkel vertritt die These „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Ihre Kritiker halten dem entgegen: „Der Euro ist der Spaltpilz von Europa.“ Wie stehen Sie zur Währungsunion?

Aretin: Der Euro ist für uns mehr oder weniger ein Vorteil. Aber solange sich Länder wie Italien oder Griechenland nicht an die festgelegten Rahmenbedingungen halten und der Zinnober mit den Banken existiert, hätte ich das so nicht mitgemacht.





Geschichte des Klosters und der Brauerei Aldersbach

Bierbrauen hat im ehemaligen Zisterzienserkloster im niederbayrischen Aldersbach eine lange Tradition. Schon im 13. Jahrhundert brauten die Mönche dort ihr Bier. Nach der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts hat die Adelsfamilie von Aretin das Kloster­areal übernommen und die Brautradition bis heute fortgesetzt. Der Vorfahr derer von Aretins wurde 1706 als Sohn eines armenischen Fürsten in Konstantinopel geboren und gilt als Stammvater der heute in Bayern weitverbreiteten Freiherrnfamilie. Schon in den Anfängen der bayerischen Monarchie waren sie mit einflußreichen Aufgaben in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft betraut. Inzwischen ist der Förderkreis Kloster Aldersbach Eigentümer des historischen Gebäudekomplexes, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Klosteranlage zu renovieren und zu erhalten. Die Familie konzentriert sich ausschließlich auf den Brauereibetrieb. Die Geschäftsleitung der Brauerei hat Adam Freiherr von Aretin inne, sein Sohn Ferdinand ist dort Direktor. Das Familienunternehmen braut jährlich 70.000 Hektoliter Bier, hinzu kommen 30.000 Hektoliter alkoholfreie Produkte wie Limonade. Obwohl das Aldersbacher Bräustüberl inzwischen zu einer Touristenattration geworden ist, bleiben die Preise im Rahmen. Es ist auch weiterhin erlaubt, seine Brotzeit selber mitzubringen oder selbst zu musizieren, was eine ganz eigene Atmosphäre erzeugt. Neben den üblichen Bierverkostungen gibt es fast täglich Führungen, die interessierten Gästen das frühere Leben und den Alltag in Kloster und Brauerei näher bringen sollen.