© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

National Geographic hat sie gerade zur „mächtigsten Frau der Welt“ erklärt: Maria, die Mutter Jesu. Tatsächlich gehört es zu den Merkwürdigkeiten der Geschichte des Christentums, daß eine Frau, von der in der ersten Überlieferung kaum die Rede war, allmählich zu einer Schlüsselfigur des Glaubens werden konnte, verehrt, wenn schon nicht als „Gottgebärerin“, dann doch als „Christusgebärerin“ und „Himmelskönigin“. Wahrscheinlich sind im Mittelalter Maria mehr Kirchen geweiht worden als jedem oder jeder anderen Heiligen, und der ritterliche Dienst, der ihr gewidmet war, hat mehr zur Wertschätzung der Frau im Abendland und zu verfeinerten Umgangsformen beigetragen als andere zivilisierende Einflüsse. Der Protestantismus hat auf diesem wie auf anderen Feldern einen Bruch vollzogen, was auch die Unerbittlichkeit seiner internen Streitereien erklären könnte.

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Ein Bericht von Günther Lachmann in der Welt zu den Drangsalierungen, denen sich die AfD im allgemeinen und deren Vorsitzende Frauke Petry im besonderen ausgesetzt sieht – Angriffe auf Parteiveranstaltungen und Privatwohnungen, Einschüchterung von Hoteliers oder Vermietern, die Räume zur Verfügung stellen, Bedrohung der Mitglieder und deren Ächtung im sozialen Umfeld –, ist nicht deshalb so bemerkenswert, weil er neue Informationen liefert, sondern weil derlei überhaupt einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht wird. Es fehlt allerdings an einer weitergehenden Analyse und auch an der Einsicht, wie sehr das bürgerliche Milieu durch seine Bereitschaft, den antifaschistischen Konsens zu pflegen, zu dieser Situation beigetragen hat. Und damit einer systematischen Terrorisierung von einzelnen und Gruppen Vorschub leistet, mit deren Positionen man nichts gemein haben muß, um doch zu erkennen, daß die objektive Nähe zu den eigenen Auffassungen und Werthaltungen wesentlich größer ist als die zu den Steinewerfern, Krakeelern oder Verfassern jener Haßbotschaften, denen der Justizminister keinerlei Aufmerksamkeit widmet.

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„Nur wenige Menschen haben das Recht, nicht an das Christentum zu glauben.“ (Ernest Renan)

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In Tronoën steht der älteste Kalvarienberg der Bretagne. Es handelt sich bei diesen steinernen Monumenten nicht um eine Darstellung des Ortes, an dem Christus gekreuzigt wurde, sondern um eine Kombination aus Reliefs und Skulpturen, die seit dem ausgehenden Mittelalter vor den Kirchen errichtet wurden und der Illustration wichtiger biblischer Inhalte durch bildliche Darstellung dienten. Die konnten auch von Predigern genutzt werden, die während ihrer Ansprache für die umstehende Gemeinde auf die einzelnen Motive hinwiesen. Eine Seite des umlaufenden Frieses in Tronoën zeigt Maria und den Engel Gabriel, im Hintergrund warten schon die Heiligen Drei Könige, angetan mit der höfischen Tracht des 15. Jahrhunderts, nur am Rande und schlafend sieht man Joseph, als habe der Künstler zum Ausdruck bringen wollen, wie marginal dessen Rolle für das ganze Geschehen war. Bedenkt man, daß die Kalvarienberge ursprünglich farbig gefaßt wurden, kommt die eigentümliche Drastik der Darstellung besonders zur Geltung, da Maria zu sehen ist, wie sie im Bett liegt, mit offenem Haar und das Bettuch so weit herabgezogen, daß ihre Brüste unbedeckt bleiben.

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Nach verschiedenen Berichten hat ein islamischer Gelehrter saudischer Herkunft eine Fatwa erlassen, die es erlaubt, behinderte Kinder zu töten. Anhänger des Islamischen Staates sollen aufgrund dieser Weisung in ihrem syrischen Machtbereich schon achtunddreißig Kleinkinder ermordet haben.

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Der Religionswissenschaftler Otto Huth hat die Vermutung geäußert, daß sich in den Kalvarienbergen etwas von der vorchristlichen Symbolik des „Weltberges“ erhalten habe. Der Weltberg ist ein in vielen – nicht nur europäischen – Religionen verbreitetes kosmisches Symbol, das meistens in drei Stufen die einzelnen Sphären miteinander verbindet und von einem „Weltenbaum“ überragt wird. Ganz glatt geht diese Analogie nicht auf, wenngleich der Kalvarienberg in Tronoën das irdische Leben des Heilands, die Passion und das Opfer am Kreuz miteinander verknüpft. Daß die erwähnte Mariendarstellung allerdings einen gewissen heidnischen Zug hat, ist unbestreitbar. Gelegentlich wurde die Vermutung geäußert, daß der Kirchbezirk von Notre Dame de Tronoën an die Stelle eines älteren römischen Tempels getreten ist. Der sei der Venus geweiht gewesen, aber wahrscheinlich gab es noch einen Vorgängerbau, in dem man die „keltische Venus“ verehrt haben mag, deren wirklicher Name verlorenging, die aber regelmäßig als Schwangere und mit auffallend langem Haar dargestellt wurde und weniger mit erotischen Aspekten als mit Fruchtbarkeit und Geburt und vielleicht auch dem Gedanken der Erlösung verknüpft war.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 8. Januar in der JF-Ausgabe 2/16.