© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Billiges im Kleiderschrank
Schattenseite von Mode: Eine Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum
Wolfgang Kaufmann

Mit seinem Modekonsum stillt der Mensch in der westlichen Industriegesellschaft das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung. Dabei ist es besonders für jüngere Leute unverzichtbar, immer schneller und schneller auf aktuelle Trends zu reagieren – deshalb wechseln die Produktzyklen der billigen Massenmode mittlerweile bis zu zwölfmal pro Jahr. Das führt natürlich zu einer enormen Beschleunigung der Fertigungsabläufe. Insofern ist es mehr als berechtigt, analog zum Fast Food von Fast Fashion zu sprechen. Doch wie das ungesunde Essen vom Imbiß an der Ecke hat auch diese Form der Mode unerwünschte Nebenwirkungen.

Zum einen verführt sie die Konsumenten zu unnötigen Vielkäufen. Weil zahlreiche Menschen hierzulande fast im Wochentakt „Klamotten“ erwerben, enthält der bundesdeutsche Durchschnitts-Kleiderschrank heute viermal so viele Stücke wie noch 1980. Zum anderen bewirkte der Kostendruck eine Verlagerung der Herstellung in asiatische Billiglohnländer ohne ökologische Standards und existenzsichernde Mindestlöhne. Derzeit stammen 90 Prozent aller verkauften Textilien aus Asien, wobei China, Indien und Bangladesch, wo die Verhältnisse besonders dramatisch sind, die Rangliste anführen. Mit dieser „Schattenseite der Mode“ befaßt sich eine neue Sonderausstellung im Dresdner Hygiene-Museum, deren Ausgangskonzept im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe entstand – mit Fördermitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die Exposition ist so aufgebaut, daß der Besucher zunächst mit allerlei negativen Aspekten der Bekleidungsherstellung konfrontiert wird, zum Beispiel durch Bilder vom Einsturz eines großen Fabrikgebäudes in Bangladesch, bei dem im April 2013 an die 2.000 Näherinnen starben. Ebenso kommen die extrem niedrigen Löhne zur Sprache, welche manchmal bloß bei 20 Dollar im Monat liegen, was dazu führt, daß die Personalkosten nur rund ein Prozent des Preises der Ware ausmachen. Allerdings mußten die Ausstellungsmacher auch konzedieren, wie wichtig gerade die Textilindustrie für die Länder der Dritten Welt ist, weil diese ohne sonderlich qualifizierte Mitarbeiter auskommt und einiges an Devisen in die stets klammen Kassen spült.

Diesem Eingangsteil schließen sich Informationstafeln über die komplexen Produktions- und Lieferketten in der Branche an. Besonders aufschlußreich ist dabei der im Detail nachgezeichnete Weg einer Jeans. Dieser führt innerhalb von zwei Wochen über einige zehntausend Kilometer – von den Niederlanden, wo der Entwurf erfolgte, über Indien (Herstellung des Stoffs), Indonesien (Färben des Materials), Bangladesch (Zusammennähen), die Türkei (Veredelung durch Sandstrahlen) bis nach Deutschland (Verkauf). Das heißt, das „Made in“ im Etikett sagt heute so gut wie gar nichts mehr über die Herkunft von Textilien aus.

Ein weiterer wesentlicher Themenpunkt der Ausstellung ist die Ökologie. Selbstverständlich hat die Herstellung von Kleidungsstücken Auswirkungen auf die Umwelt, was insbesondere für die Baumwollproduktion gilt. Auf diese entfallen immerhin 25 Prozent des weltweiten Verbrauchs von Insektiziden und zehn Prozent des Verbrauchs an Pestiziden. Außerdem ist der Wasserbedarf der Baumwollpflanzen enorm. Beredtes Zeugnis hiervon legt der Aral-See im Grenzgebiet zwischen Kasachstan und Usbekistan ab, der auf ein knappes Viertel seiner ursprünglichen Fläche geschrumpft ist, weil aus den Zuflüssen zuviel für die Bewässerung der usbekischen Baumwollplantagen abgezapft wird.

Nachdem der Besucher auf diese Weise manches über die Übel erfährt, für welche die Fast Fashion verantwortlich zeichnet, findet er im hintersten Raum der Sonderschau das „Slow Fashion Lab“, in dem junge sächsische Modemacher ihre alternativen Kollektionen präsentieren. Bei deren Anfertigung soll auf eine nachhaltige und umweltschonende Herstellung der Stoffe sowie ausreichende Entlohnung der Beschäftigten geachtet worden sein. Außerdem ist von hochwertig verarbeiteten, langlebigen Produkten die Rede, welche aufgrund ihres speziellen Designs nicht so schnell unmodern werden könnten. Allerdings wirkt die vorgestellte Slow-Fashion-Mode dann doch eher hausbacken – die gezeigten Stücke werden also wohl kaum jemanden dazu animieren, keine Fast Fashion mehr zu kaufen, zumal das ja auch eine Preisfrage ist.

Doch genau dieses Thema fällt in der Ausstellung komplett unter den Tisch: Nirgendwo findet sich ein Hinweis darauf, daß die Menschen in den westlichen Industrieländern gleichfalls nicht im Geld schwimmen – obwohl sie natürlich mehr verdienen als eine Näherin in Bangladesch –, weshalb sie ihre Kaufentscheidung ganz maßgeblich vom Preis abhängig machen müssen. Insofern reiht sich die Schau „Fast Fashion“ in die Kette der ebenso zahlreichen wie untauglichen Versuche ein, den Leuten hierzulande ein schlechtes Gewissen zu machen, damit sie endlich bereit sind, ihren „Reichtum“ zu teilen.

Die Ausstellung ist bis zum 3. Juli 2016 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, Lingnerplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 0351 / 48 46-400

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