© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Das Prekariat mit dem Doktortitel
Umstrittene Gesetzesänderung zum Unwesen der Zeitverträge für Nachwuchsforscher: Für den Wissenschaftsstandort Deutschland ist weiterer Schaden in Sicht
Oliver Busch

Auf 3,1 Milliarden Euro belief sich Ende 2012 der Finanzbedarf, den 71 deutsche Universitäten zur Sanierung ihrer baulich-technischen Infrastruktur benötigt hätten. Seitdem ist der Bau- und Instandsetzungsbedarf nicht geringer geworden, nur liegen hierzu vom Arbeitskreis Hochschulbau der Universitätskanzler und vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung, auf deren Berechnung die 3,1 Milliarden von 2012 zurückgehen, noch keine verläßlichen Zahlen vor. In der Presse kursierende Schätzungen bewegen sich zwischen sechs und dreißig Milliarden Euro. Sicher ist jedoch nur, daß für die Universitäten ähnlich viel Geld fehlt wie für Straßen und Brücken, für Familien, Kinder, Rentner, Polizisten oder Soldaten.

Kurzbefristungen sind an Hochschulen eher die Regel

In diesem jenseits von „Eurorettung“ und Masseneinwanderung immer mehr deutsche Verlierer ausspuckenden Kampf um Steuergelder fallen die Ansprüche von 200.000 Beschäftigten, die in Forschung und Lehre in befristeten Arbeitsverhältnissen tätig sind, das abschätzig so genannte „Wissenschafts-Prekariat“, kaum ins Gewicht. Entsprechend lange benötigte der Bundestag, bis er den Entwurf für die seit Jahren angemahnte Änderung des „Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ von 2007 vorgelegt hat. 

Angesichts notorischer Unterfinanzierung bei gleichzeitigem Expansionsdruck in der Forschung und steigenden Studentenzahlen garantieren die üblichen „Kurzbefristungen“ für 80 Prozent des Hochschulpersonals keineswegs mehr, wie es schönfärberisch heißt, „Flexibilität und Dynamik“ des Wissenschaftsbetriebs. Denn tatsächlich hat, wie der Gesetzgeber einräumt, die Fluktuation auf befristeten Stellen in der Qualifizierungsphase oder in drittmittelfinanzierten Projekten ein unerträgliches Ausmaß erreicht, da das ständig wechselnde Personal den erhofften „laufenden Zustrom neuer Ideen“ inzwischen eher abschwellen läßt. Zudem scheint das System immer häufiger Nachwuchskräfte ins Ausland zu vergraulen, weil sich dort die wissenschaftliche Karriere sicherer planen läßt als in Deutschland. 

Nach dem Urteil von drei dazu befragten Hochschullehrern, dem Berliner FU-Präsidenten Peter-André Alt, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur, dem Literaturwissenschaftler Remigius Bunia, und Helmut Köstermenke, dem Sprecher des Arbeitskreises Finanzen, Organisation, Personal in der Bundesarbeitsgemeinschaft Hochschulkanzler, ist zu befürchten, daß das geänderte Gesetz diese Mißstände nicht beheben wird (Deutsche Universitäts-Zeitung, 12/2015). Denn die Gesetzesnovelle, so bemängelt Bunia, halte an der Schimäre fest, nur starke Fluktuation befördere Innovation. Neues Wissen werde aber eher dann generiert, wenn Beschäftigte die Perspektive erhielten, sich intensiv in ihr Forschungsfeld einzuarbeiten. Der Entwurf enge zwar die Möglichkeiten, „unsachgemäße“ Kurzzeitverträge abschließen zu dürfen, erfreulicherweise weiter ein, eröffne aber für die Masse von Hochqualifizierten, die keine Berufung in die Lebensstellung einer Professur erhalten, weiterhin nicht die Chance, sich auch nach dem 40. oder 45. Geburtstag der Forschung widmen zu dürfen. Dadurch bleibe es bei den zahllosen, Ressourcen verschwendenden „Karriereabbrüchen“. Eine kurzsichtige Politik, mit der eine die „eigentliche Problemlage“ verkennende Bundesregierung dem Wissenschaftsstandort Deutschland in den nächsten Jahren „weiteren Schaden“ zufüge. 

Auch Köstermenke und Alt glauben, der Entwurf setze an der falschen Stelle an. Denn befristete Arbeitsverhältnisse in diesem Umfang seien nur aufgrund unsicherer Stellenfinanzierungen entstanden. Stattdessen hätten mehr Mittelbaustellen geschaffen und mit Dauerpersonal besetzt werden müssen. Eine Lösung, die aber am knappen Bildungsbudget scheitert, da die Universitäten beim Personal eben genauso wie bei ihrer baulichen Infrastruktur an Unterfinanzierung leiden. So dürfte denn die Änderung, sollte sie in dieser Fassung bis 2017 Gesetz werden, für das „Wissenschafts-Prekariat“ kaum mehr als marginale Verbesserungen bringen.