© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Dezibel herunterfahren
Das Lob der Stille: Gegen eine dauernde Beschallung
Werner Olles

Die abendländische Mystik versteht Stille als göttlichen Zustand, als den Zustand im Göttlichen, das Schweigen als den mystischen Weg dahin. Immer im Schweigen des Geistes geht der Mystiker in die Stille des Göttlichen ein. Für Meister Eckhart ist Gott allein in sich selbst in der Ruhe, der Stille und dem Schweigen. 

Für den frühen existentialistischen Mystiker Søren Kierkegaard, der sich von redseligen Kopenhagener Stockbürgern und angeblich christlichen Predigern des allzu lauten Wortes Gottes umgeben weiß, werden Schweigen und Stille philosophisch wie existentiell zentral. Nach der ersten seiner „Drei frommen Reden“ mit dem lakonischen Titel „Stillesein“ ist das Schweigen das Privileg des Menschen vor dem Tier, zugleich der Vorzug des einzelnen vor der schwatzenden, nicht schweigenden Mehrheit der Menschen, die nicht stille sein kann. 

„Es gibt eine Elite des Schweigens“, schreibt Ludger Lütkehaus in seinem Essay „Stille – Schweigen – Musik“: „Zur Not hat sie es gelernt, ihre Stille plaudernd zu verbergen“, um am Beispiel des „wohl radikalsten Musikstücks der Musikgeschichte“, John Cages „4’ 33“, das aus vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden Stille besteht, der Frage nach der Bedeutung komponierter Stille, die inzwischen auch ästhetisch und musikphilosophisch diskutiert wird, nachzugehen.

Dagegen bietet die Moderne ihre untauglichen Gegenmittel auf und füllt alles mit ihrem technischen, kommerziellen und akustischen Müll, der jede Dezibel-Grenze überschreitet und keine Pause mehr kennt, um nur ja den Schrecken der Stille zu vertreiben. Das unablässige Hintergrundrauschen der Mediengesellschaft, der permanente musikalische Dudelfunk, die Zwangsbeschallung nicht nur der Warenhäuser, sondern ganzer Innenstädte hält die Moderne für das Zeichen von Leben. Inzwischen gibt es bereits Untersuchungen über diese als Musik akzentuierte Art von Gewalt und ihre Folgen. Doch es gibt auch sie noch: die stillen Räume der Kirchen und Klöster, die mit der Meditation wieder zu Ehren kommen, und jene musikalische Stille, deren erstaunlichen Weg Leopold Mozart einst formulierte: „Jeder Ton beginnt mit der Stille und kehrt mit der Stille zurück.“

Ludger Lütkehaus: Stille – Schweigen – Musik. Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn und Rangsdorf 2015, broschiert, 47 Seiten, 12 Euro