© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Merkels Politik und Bismarcks Alptraum
Jahresvorschau: Auch 2016 wird von den Problemen Masseneinwanderung und Eurokrise bestimmt werden – mit unabsehbaen Folgen
Paul Rosen

Dieses Jahr dürfte kein bißchen besser werden als 2015. Und das war schon schlimm genug, wie Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Weihnachtsansprache feststellte: „Das Jahr war doch in hohem Maße gekennzeichnet von Unglück, Gewalt, Terror und Krieg.“ Terrorismus, Masseneinwanderung, und Europakrise bleiben 2016 auf der Tagesordnung, die Währungsprobleme werden wieder hinzukommen. Die Energiewende ist ein weiteres Projekt, das jederzeit scheitern kann. Dazu haben die Berliner Parteien noch eine Reihe von Landtagswahlen zu bestehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich 2015 mit ihrer Großen Koalition mühsam über Wasser halten können; in ihrer Fraktion drohte sie wegen ihrer Ohne-Obergrenzen-Asylpolitik die Mehrheit zu verlieren. Ein funktionierendes Frühwarnsystem in der eigenen Partei und wirkungsvolle Disziplinierungsmaßnahmen erstickten jedoch fast alle Widerstände im Keim. Auf dem CDU-Parteitag führte diese Herrschaftsstruktur zu einer geistigen Leere: 

„Der chinesische Volkskongreß ist dagegen ein Debattierclub“, stellte die Berliner Morgenpost verwundert fest. 

Nach der alternativlosen Euro-Rettung setzte Merkel ihren keinen Widerspruch duldenden Regierungskurs in der Flüchtlingsfrage fort: „Wir schaffen das“, lautete das Dogma, das billigend eine Verletzung europäischen Rechts in Kauf nahm beziehungsweise sogar betrieb. Nun sind in einem Jahr rund eine Million Ausländer nach Deutschland eingereist; von etwa einem Drittel weiß man nicht einmal, wo sie sich genau aufhalten – geschweige denn, was sie wollen. Mit Beschwörungsformeln wird versucht, die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer bei der Stange zu halten. Wie lange das gutgeht, weiß niemand. Daß es lange gutgeht, kann bezweifelt werden, wenn der Einwanderungsdruck anhält, zumal die bisher ausgesprochen gastfreundlichen skandinavischen Länder die Grenzen dichtmachen. 

Damit ist das nächste Themenfeld skizziert. Während Frankreich unter Terroranschlägen leidet und in Belgien sogar die Silvesterfeier in Brüssel abgesagt werden mußte, feierten in Berlin eine Million Menschen unbeschwert den Beginn des Jahres im „Hippie-State“, wie der britische Politologe Anthony Glees die meist von Emotionen statt politischen Überlegungen geleitete Politik der Bundesregierung verspottete. Sicherheitsbehörden erklären in jeder Lageeinschätzung, die Frage sei nicht, ob Terroristen mit islamischem Hintergrund in Deutschland zuschlagen, sondern wann das sein wird. 

Man muß kein Prophet sein, um zu wissen, daß die deutsche Zivilgesellschaft, die sich rührend um die Gleichstellung auch der letzten sexuellen Minderheit bemüht und ebenso intensiv gegen Rechts wie gegen den Verzehr von Fleisch kämpft, nach einem Anschlag wie in Paris einen schweren Schlaganfall erleiden und sich nicht mehr erholen würde. Wohin die Stimmungen dann treiben und wer damit sein Geschäft machen könnte, ist ungewiß. Für die Parteien in Berlin ist die Situation wie der Tanz auf dem Vulkan. Die Party läuft. Jeder weiß, daß der Ausbruch kommen wird. Alle hoffen, daß es möglichst lange bis zum Ausbruch dauern wird.

Nicht anders ist die Situation beim Euro. Terrorismus, Krieg in Syrien und Massenimmigration haben die Eurokrise aus den Schlagzeilen verschwinden lassen, weg war sie aber nie. Griechenland ist so pleite wie eh und je, Frankreich, Spanien und Italien machen weiter zu viele Schulden und vertrauen darauf, daß Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), ihre Staatsanleihen kauft, was früher als Gelddrucken bezeichnet wurde. Zuletzt war bekanntgeworden, daß die Notenbanken von Frankreich und Italien ihren nationalen Regierungen Staatsanleihen abkaufen (das heißt Geld drucken), was angeblich aufgrund eines Geheimabkommens (Anfa) erlaubt ist. „Das Schöne am Euro ist, daß man sich im eigenen Keller Geld drucken kann, das in anderen Ländern als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt wird“, spottete der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, über den Geheimvertrag. Eine Reaktion deutscher Politiker gab es nicht. 

Warnung vor der doppelten Isolation Deutschlands

Die EU ist heute keine Wertegemeinschaft demokratisch regierter Völker mehr, sondern Ausdruck von Rechtsbrüchen in Serie. Den Vertragsverletzungen bei der Währung folgten Vertragsbrüche in der Immigrationsfrage. Von einer „Bankrotterklärung für Europa als Rechtsgemeinschaft“ spricht der CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth. Seine Warnungen verhallten in der Bundestagsfraktion ungehört. Deutschland droht in der Europäischen Union eine doppelte Isolation: In der Flüchtlingspolitik steht Berlin klar gegen die osteuropäischen Länder und gegen Großbritannien, die freundlichen Bekundungen aus Paris und Rom klingen hohl. In der Währungsfrage wiederum stehen die südeuropäischen Länder unversöhnlich gegen Deutschland, und Frankreich neigt hier stärker zum Mittelmeer als zum Rhein. Diese doppelte Isolation ist genau der Alptraum, vor der Bismarck sich sein ganzes Leben lang fürchtete.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Landtagswahlen beinahe bedeutungslos. Das Wiedererstarken von Oppositionsparteien wie der AfD und ein Berappeln der FDP könnte aber dazu führen, daß in den grün-rot beziehungsweise rot-grün regierten Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz  (Wahlen am 13. März) keine „fortschrittlichen“ Koalitionen mehrheitsfähig sind und die CDU große Koalitionen oder schwarz-grüne Bündnisse erzwingen kann. Die Wahlen in Sachsen-Anhalt (13. März), Mecklenburg-Vorpommern (4. September) und Berlin (18. September) sind für die Bundespolitik nur als politische Fiebertemperaturmessung von Bedeutung. Regierungsübernahmen der CDU in den Ländern dürften Merkel stärken – obwohl sie keines der bestehenden Probleme gelöst, sondern vielmehr noch neue geschaffen hat. Es wäre ein historisches Paradoxon.