© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Angst vor dem Abnutzungseffekt
Terrorismus: Nach der Anschlagswarnung in der Silvesternacht in München ist eine Debatte über die Konsequenzen entbrannt
Christian Schreiber

Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä will die Sperrungen zweier Bahnhöfe nach der Terrorwarnung in München „nicht als Fehlalarm bezeichnen“. Die Maßnahmen seien „unbedingt nötig“ gewesen. Nach dem Schock der Silvester-Nacht folgte der nächste Kater. Innerhalb weniger Stunden mußte die Polizei in der bayerischen Landeshauptstadt zweimal ausrücken. Zunächst hatte es am Hauptbahnhof eine telefonische Bombendrohung gegeben, anschließend schlug ein Spürhund an einer Telefonzelle am Pasinger Bahnhof an. Beide Male stellten sich die Meldungen als unbegründet heraus. 

Doch nach der Aufregung zum Jahresende stellt sich für die deutschen Sicherheitsbehörden zunehmend die Frage, wie ernst Warnungen von „befreundeten Geheimdiensten“ noch zu nehmen sind. In München hatten offenbar französische, amerikanische und irakische Agenten einen Selbstmordanschlag der Terrormiliz Islamischer Staat auf zwei Bahnhöfen angekündigt. Bestätigt haben sich die Anschlagspläne allerdings ebensowenig wie im November, als unmittelbar nach den Attentaten von Paris ein Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Hannover abgesagt werden mußte. 

„Die Behörden haben richtig reagiert“

Auch damals hatten ausländische Geheimdienste Meldungen weitergegeben, wonach ein Anschlag geplant sei. Zu Wochenbeginn sorgte dann eine Meldung für Aufsehen, nach der ein gebürtiger Iraker bereits vor Weihnachten eine Polizeiwache in Baden-Württemberg aufgesucht und vor einem drohenden Anschlag gewarnt habe.  Die folgenden Ermittlungen seien allerdings ohne Ergebnis geblieben, bei den Namen, die der Mann genannt hatte, habe es sich „um arabische Allerweltsnamen“ gehandelt, berichteten BR und SWR unter Berufung auf Ermittler. Erst nachdem es kurz vor Silvester dann entsprechende Hinweise aus Frankreich und den Vereinigten Staaten gegeben habe, habe sich das Innenministerium dazu entschlossen, die Terrorwarnung herauszugeben. 

„Die Bedrohung war ernstzunehmend, und die Behörden haben total richtig reagiert“, sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU)  gibt es in München mittlerweile keine konkrete Anschlagsgefahr mehr. Zwar sei die Terrorgefahr in Europa insgesamt hoch, es gebe „aber keinen unmittelbaren Hinweis auf einen Anschlag in naher Zukunft an einem bestimmten Ort“. Die Sicherheitslage sei nicht viel anders als zuletzt nach den Terrorattacken in Paris. Das Bundeskriminalamt hatte bereits vor Weihnachten einen Hinweis eines Geheimdienstes über eine erhöhte Terrorgefahr in Europa. Eine Spur führte nach Österreich, woraufhin in Wien die Sicherheitsmaßnahmen erhöht wurden. Auch dort geschah allerdings nichts. Kommentatoren im In- und Ausland warnen mittlerweile vor einem Abnutzungseffekt. Ständige Terrorwarnungen ohne konkrete Ermittlungsergebnisse könnten dazu führen, daß die Bevölkerung künftig solche Hinweise nicht mehr ernst nehme. Schon im vergangenen Frühjahr war der Karnevals-Umzug in Braunschweig abgesagt worden, nachdem Geheimdienste eine konkrete Gefährdungslage übermittelt hatten.  Diese blieb aber ebenso unbelegt wie die nachfolgenden Warnungen in Hannover und München. Dem Hinweis zufolge ging es dort um fünf bis sieben potentielle Attentäter aus Syrien und dem Irak. Von etwa der Hälfte der Verdächtigen wurden Personalien übermittelt, wie Polizeipräsident Andrä berichtete. Er betonte aber, daß es unklar sei, ob es diese Personen überhaupt gebe. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will Konsequenzen aus dem Terroralarm in München ziehen: „Künftig wird es noch intensiver als bisher darauf ankommen, daß wir mit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten eng zusammenarbeiten und Informationen austauschen.“ Und Unionsfraktionschef Volker Kauder brach gar eine Lanze für den angeschlagenen Ruf der amerikanischen Geheimdienste. „Es hat sich wieder einmal gezeigt, wie falsch hier viele in den anderen Parteien liegen, die diese Zusammenarbeit immer wieder in Frage stellen.“