© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Endlich abstimmen“
Marcus Schmidt

Seit Karlsruhe herrscht in der CDU Ruhe. Auf dem Parteitag Mitte Dezember war es Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer einzigen Rede gelungen, die sich in der Partei zuvor immer deutlicher artikulierende Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik in Begeisterung und grenzenlosen Jubel  umzubiegen. Auch wenn mancher Delegierter anschließend selbst nicht so genau wußte, warum er seiner Parteichefin soeben minutenlang applaudiert hatte, kapitulierten die meisten parteiinternen Kritiker Merkels vorerst vor soviel Anhänglichkeit.

Doch zumindest eine CDU-Bundestagsabgeordnete hat sich von Merkel nicht einwickeln lassen: Erika Steinbach. Vielleicht, weil die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen gar nicht erst nach Karlsruhe gefahren war. So blieb sie vom „Wir schaffen das“-Zauber der CDU-Chefin gänzlich unbeeindruckt.

Daß Steinbach, die nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr aus dem Parlament ausscheidet, an ihrer kritischen Haltung gegenüber der Asylpolitik auch im neuen Jahr festhält, machte die 72jährige am Sonntag deutlich. In einer Pressemitteilung forderte Steinbach die Große Koalition eindringlich auf, die Abgeordneten endlich über Merkels Kurs in der Einwanderungspolitik abstimmen zu lassen. „Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie ihre eigenmächtige, dramatische Entscheidung, die in ihrer Dauerhaftigkeit entgegen gültigem Recht getroffen wurde, im neuen Jahr endlich dem deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegt!“ Deutschland habe mit der Aufgabe seiner Grenzen nicht nur seine eigene Staatlichkeit faktisch aufgegeben, sondern auch seine eigenen Ansprüche an menschenrechtlich vertretbare Bedingungen bei der Aufnahme von Einwanderern, begründete Steinbach ihre Forderung, die bei der Fraktionsführung für Augenrollen sorgte. 

Asylbewerber lebten in Zelten, vegetierten in Turnhallen und selbst in Messehallen oder Fabrikanlagen. „Sie warten Wochen und Monate auf ihre Registrierung. Stehen Schlange dafür bei Wind und Wetter. Nicht in irgend-einem Entwicklungsland. Nein, hier in Deutschland!“ kritisierte Steinbach. Ohne die Hilfe Tausender ehrenamtlich Tätiger wäre die Situation noch um vieles dramatischer. „Wir schaffen das? Um welchen Preis!“ Bund, Länder und Kommunen bewältigten den kaum verminderten Andrang nur mühsam unter „unvertretbaren Abstrichen an den eigenen menschenrechtlichen Standards.“ „Die Zahl derer, die wir tatsächlich menschenwürdig unterbringen und versorgen können, ist längst überschritten“, kritisierte Steinbach. 

Sie mahnte zudem an, den Blick in die Zukunft zu richten. Mit der Aufnahme der Flüchtlinge und ihrer Unterbringung sei es schließlich nicht getan. Wie die zwingend erforderliche Integration gelingen könne, sei völlig offen. „Das ist in Teilen selbst bei lange hier lebenden Migranten nicht überall gelungen. Parallelgesellschaften, nicht nur in Berlin, machen das dramatisch deutlich“, warnte die hessische CDU-Abgeordnete.