© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Grüße aus Madrid
Fiesta ohne Siesta?
Michael Ludwig

Carlos ist Andalusier und ein alter Freund. Seit rund 15 Jahren lebt er in Madrid, und es gehört zu unseren gemeinsamen Gepflogenheiten, uns zweimal die Woche zu einem menu del dia zu verabreden. Das letzte Mal war er ausgesprochen schlecht drauf und seine dunklen Augen funkelten wütend: „Lange hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob ich der liberalen Ciudadanos (deutsch: Staatsbürger) bei den Wahlen am 20. Dezember meine Stimme geben soll.“ Doch, so Carlos weiter, habe sich das schnell erledigt.

Ich wollte wissen, warum, und als er anhob zu antworten, bildete sich eine zusätzliche Zornesfalte auf seiner Stirn: „Die wollen die Siesta abschaffen!“ „Aber das haben doch schon andere versucht – und sind jedesmal damit gescheitert“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. „Ich weiß, in Katalonien gab es Versuche, und auch die Arbeitgeber haben Vorstöße in diese Richtung unternommen.“ Er hoffe, so fügte er hinzu, daß auch dieser Angriff auf die spanische Lebensart im Sande verlaufen werde. „Heilige Kühe darf man nicht schlachten.“

„Die Siesta nimmt dem Tag seine Beschleunigung. Sie ist das beste Mittel gegen Streß.“

Die Ciudadanos gilt als bürgerlich und innovativ. Ihr Plan sieht vor, daß die Arbeitszeit bereits um acht Uhr beginnt, die Mittagspause, also die Siesta, nicht mehr von 14 bis 16.30 Uhr ausgedehnt wird, sondern sich an mittel- und nordeuropäischen Standards orientiert. 30 bis 45 Minuten also. So soll die Arbeitszeit flexibilisiert und die Produktivität erhöht werden, denn wer nach zweieinhalb Stunden Essenszeit inklusive einem halben Liter Wein an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, dessen Antriebskräfte sind halbwegs lahmgelegt. 

„Wir wollen uns mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, Medien und Sozialarbeitern an einen Tisch setzen, um eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen“, heißt es aus der Parteizentrale der Ciudadanos. Außerdem soll mit veränderten Arbeitszeiten ein früherer Arbeitsschluß erreicht werden. Mediziner warnen seit langem, daß der gegenwärtige mit 20 oder gar 21 Uhr viel zu spät sei. Die Folgen sind zuwenig Schlaf und eine chronische Übermüdung.

Das alles ficht Carlos nicht an. „Ich finde“, sagte er, „daß die Siesta dem Tag seine Beschleunigung nimmt. Sie ist das beste Mittel gegen Streß.“ Das sahen wohl viele spanische „Staatsbürger“ so und straften die Liberalen ab. Denn die bereits als drittstärkste Kraft gehandelte Partei kam nur auf Platz vier. Doch wer weiß – Neuwahlen könnten dies leicht wieder ändern.