© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Furcht vor einem Flächenbrand
Sunnitisch-schiitische Konfrontation: Mit der Exekution eines schiitischen Predigers sucht Saudi-Arabien den offenen Konflikt mit dem Iran
Josef Hämmerling

Von ungefähr komme die Eskalation zwischen Riad und Teheran nicht. Für Saudi-Arabien sei der Iran zu weit gegangen, erklärt der Nahostexperte Ferhad Ibrahim Seyder gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Riad fühle sich nicht nur durch die Umwandlung des Irak zu einem Einflußgebiet des schiitischen Mullah-Regimes, sondern auch durch dessen Engagement in Syrien und Jemen geopolitisch unter Druck gesetzt. Nun habe das Königshaus die Herausforderung offen angenommen. 

Die Hinrichtung von 47 Menschen in Saudi-Arabien verschärft die ohnehin schon sehr instabile Lage im Nahen Osten noch weiter. Besonders die Exekution von Scheich Nimr al-Nimr wegen „Mangels an Gehorsam“ führte bei den Schiiten zu großen Protesten und droht den Konflikt zwischen ihnen und den Sunniten weiter anzuheizen. 

EU, USA und Rußland fordern Mäßigung

So hat dann auch der Iran, der als Schutzmacht der Schiiten gilt, Saudi-Arabien bereits Konsequenzen angekündigt. Der oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, drohte dem saudischen Königshaus mit der „Rache Gottes“. Vize-Außenminister Hossein Amir-Abdollahian warf Saudi-Arabien in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Fars vor, mit seinen „groben Fehlern und voreiligen und unbedachten Entscheidungen der Nahostregion Instabilität beschert, eine Stärkung des Extremismus und Terrorismus verursacht und dem eigenen Volk und den Völkern der islamischen Länder in der Region mit seiner Öl-Absatzpolitik geschadet“ zu haben. 

In Teheran und Maschhad, der zweitgrößten Stadt Irans, stürmten daraufhin schiitische Demonstranten die Vertretungen Saudi-Arabiens und zerstörten diese teilweise. Die saudischen Diplomaten sind nach Angaben Amir-Abdollahians entgegen ersten Meldungen allerdings unversehrt geblieben. Dennoch brachen sowohl Saudi-Arabien als auch  Bahrain die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Riad kappte zusätzlich die Handelsbeziehungen.

Offiziell begründet wurden die Hinrichtungen mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“ und damit, daß es Saudi-Arabien nicht zulassen werde, Terroristen würden von ihrem Land aus Taten planen und ausführen. So seien auch mehrere sunnitische Mitglieder der Terrororganisation al-Qaida unter den Hingerichteten, betonte Riad. Auffällig ist jedoch der Zeitpunkt: Denn international wird die Kritik an Saudi-Arabien wegen des Krieges gegen den Jemen, der zunehmend mehr zivile Opfer fordert, besonders unter den Huthis, immer größer. Die Huthi-Milizen werden wiederum massiv vom Iran unterstützt. Auch gibt es immer mehr Hinweise, daß al-Qaida wenn zwar nicht offiziell von der saudischen Regierung, so aber doch von Scheichs des Landes finanziell unterstützt wird.

Hinzu kommt der wachsende Einfluß der Schiiten in Saudi-Arabien. Scheich al-Nimr gehörte zu den Hauptoppositionellen in dem erdölreichen Wüstenstaat und war einer der erbittertsten Widersacher der regierenden königlichen Familie. Gerade nach der Einigung mit dem Westen im Atomstreit befürchteten viele Sunniten und Wahhabiten einen wachsenden Einfluß des Irans im Nahen Osten und damit auch ein weiteres Erstarken des schiitischen Glaubens in Saudi-Arabien. Hinzu kommt die Stabilisierung der Regierung Assads in Syrien, die eine enge Freundschaft zu Teheran verbindet. Und sollten die Huthi-Milizen im Jemen ihren Einfluß weiter sichern oder sogar ausbauen, wäre Saudi-Arabien strategisch in einer sehr ungünstigen Lage.

Mit deutlicher Kritik, die von Riad als Angriff auf „interne Angelegenheiten“ abgetan wurde, reagierten auch der Westen und Rußland auf die Hinrichtungen. Das US-Außenministerium äußerte die Besorgnis, die Exekution al-Nimrs könne religiös motivierte Spannungen zu einem Zeitpunkt verschärfen, wo sie reduziert werden müßten. Auch müsse Saudi-Arabien die Menschenrechte respektieren und schützen sowie die friedliche Äußerung abweichender Meinungen zulassen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte in Telefonaten mit den Außenministern Saudi-Arabiens, Adel bin Ahmed Al-Jubeir, und des Irans, Javad Zarif, die Unruhen dürften nicht zu einer weiteren konfessionell motivierten Gewalteskalation in der muslimischen Welt führen. Ebenso wie der UN-Sicherheitsrat verurteilte Rußland explizit den Angriff iranischer Demonstranten auf die saudische Botschaft in der iranischen Hauptstadt und forderte einen „permanenten Dialog“ der Nachbarn in der Golf-Region.