© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Regimetreue und Verfemte
Widersprüchliches Erbe: Die Münchner Pinakothek der Moderne präsentiert in der Schau „Gegenkunst“ NS-inspirierte und als „entartet“ geltende Exponate
Felix Dirsch

Die künstlerische Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann in ihrer Entwicklung vom folgenreichen Rückfall in der Zeit des Nationalsozialismus nicht getrennt werden. Die massiven Kampagnen des Regimes erreichten 1937 ihren Höhepunkt. Die Münchner Ausstellung über „Entartete Kunst“ in den Hofgartenarkaden diffamierte eine größere Zahl von zeitgenössischen Kulturschaffenden, die eine Art „Who’s Who“ der Gegenwartskunst bedeuten.

Freilich wollten die Herrschenden nicht nur angeblichen kulturbolschewistischen Schund versammeln und anprangern; vielmehr sollte verlautbart werden, wie unter den neuen politischen Vorzeichen Kunst auszusehen hat. Die „Leistungsschau“ fand von 1937 bis 1944 im Haus der Deutschen Kunst unter dem Titel „Große deutsche Kunstausstellung“ statt.

Die Münchner Pinakothek der Moderne präsentiert jeweils zwei Künstler dieser so unterschiedlichen Richtungen: Die vom neuen Regime beeinflußte Gruppe vertreten der Maler und NS-Funktionär Adolf Ziegler, der die Schandausstellung von 1937 mit einer verleumderischen Brandrede eröffnete, und der Bildhauer Josef Thorak. Zieglers Gemälde „Die vier Elemente“ zeigt in Form eines Triptychons vier unbekleidete Frauen, jeweils eine in den beiden Flügeln und zwei im mittleren Abschnitt. Ein Motiv, das NS-Künstlern am Herzen lag, wird deutlich: die gesunde deutsche Frau. Sie kümmert sich um Ernährung und um den Herd, weswegen die auf der linken Seite abgebildete eine Fackel hält. Der Künstler arbeitete klar heraus, welche Rolle dem weiblichen Geschlecht im Deutschland seiner Zeit zukommen sollte.

Josef Thorak benötigte in seiner Werkstatt Feuerleitern, um seine Plastiken in ihrer monumentalen Größe anfertigen zu können. In der Ausstellung „Gegenkunst“ ist er mit der Skulptur „Zwei Menschen“ vertreten. Die Frau beugt sich zurück und legt die Arme um den Kopf des Mannes, um Schutz zu erfahren. Auch dieses Paar steht im Dienst des zeitgenössischen Rollenideals.

Bewertet man diese beiden NS-Vertreter, so darf ihr Schaffen noch als relativ anspruchsvoll im Vergleich mit anderen derartigen Versuchen gelten. Man vergleiche diese Produktionen etwa mit der abschreckenden Heroisierung des Führers, wie sie Hubert Lanzingers seinerzeit bekanntes Gemälde vornimmt. Hitler wird als Bannerträger in geschmackloser Ritterrüstung hoch zu Roß vorgeführt.

Nach der deutschen Niederlage verschwanden solche Werke in den Depots der Alliierten und wurden nach Jahren dem Freistaat Bayern überstellt.

Ausführlich werden die Gegenstücke behandelt. Max Beckmann belegten die Nationalsozialisten als einen der ersten der Zunft mit einem Berufsverbot. Seine „Versuchung“, die auf diejenige des Heiligen Antonius anspielt, zählt längst zu den herausragenden Exponaten, die die Münchner Pinakothek der Moderne zu bieten hat. Wenngleich das Gemälde keine direkten Anspielungen auf die politischen Geschehnisse erkennen läßt, dürfte Beckmann die vielfältigen ideologischen Gefährdungen verschlüsselt dargestellt haben. Das Werk vollendete er im Jahr seiner Emigration 1938. Auf abenteuerliche Weise konnte das Bild aus Deutschland herausgeschmuggelt werden. Später kehrte es im Triumph zurück. Bald nach 1945 erkannten die Verantwortlichen, welche großen Schäden die Vernichtung und der Verkauf von angeblich „entarteten“ Kunstwerken der eigenen Kulturnation zugefügt hatten.

Beckmann konnte immerhin sein Leben retten, anders als sein jüdischer Kollege Otto Freundlich, der im Konzentrationslager ermordet wurde. Früh der abstrakten Kunst verpflichtet, erlangte Freundlich traurige Berühmtheit, als seine Plastik „Der Aufstieg“ als Titelbild jener Begleitlektüre zu sehen war, die man den Besuchern der Schandausstellung aushändigte. Die Werke der beiden Künstler waren 1937 nicht zu sehen, sind aber eng mit der Verfemung Mißliebiger verbunden.

Einen weiteren Kontrast zur offiziösen Kunst von 1933 bis 1945 stellt das Triptychon „Kreuzigung“ von Francis Bacon dar, das nach Kriegsende entstand, jedoch thematisch gut zu den Werken der verfolgten Künstler paßt. Die Körperbilder machen in schockierender Weise auf die Leiden der Zeit aufmerksam und nehmen Anleihen bei der christlichen Ikonographie. Allerdings fehlt die Hoffnung auf Erlösung.

Gerade die Reduktion auf wenige Artefakte schafft eine Atmosphäre der Spannung zwischen zweierlei Arten von Kunst. In der Kontrastierung wird der Unterschied auf pointierte Weise sichtbar: Die einen Künstler gingen in subjektiver Weise auf die Menschen und ihre zahllosen Nöte ein. Die Regimetreuen hingegen legten ihr Augenmerk auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung von Kunst durch den Staat. Die Anknüpfung an Formen der antiken Klassik und der offiziösen Kunst des 19. Jahrhunderts war daher naheliegend.

Die Ausstellung mag etwas zu knapp ausgefallen sein. Dennoch besitzt diese Zuspitzung ihren Reiz.


Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Januar in der Münchner Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 089 / 2 38 05-360

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