© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

CD-Kritik: Christian Gerhaher / Mozart
Der Schattenmann
Jens Knorr

Es ist mit Risiken behaftet, Opern-arien aus dem dramaturgischen Gefüge herauszubrechen und zu einem Konzept-Album zu sortieren. Es ist dies um so mehr, wenn es ein Sänger tut, der mehr Lieder- denn Bühnensänger ist. Obzwar von Jürgen Kesting in die Ära nach Dietrich Fischer-Dieskau eingeordnet, erinnert ihn Christian Gerhaher in seiner zurückhaltenden Art, durch die Wortbehandlung keine (!) zweite semantische Ebene herzustellen, an die Sänger der Ära vor Fischer-Dieskau. 

In Arien aus den drei Da-Ponte-Opern und der „Zauberflöte“ klingt Gerhahers Bariton dem des übermächtigen andern manchmal zum Verwechseln ähnlich, obgleich in Tongebung und Ausdruck weit versammelter. Mit seinem einschichtigen Verständnis von Interpretation bleibt der Jüngere im Bannkreis des Älteren.

Doch Mozarts Opernarien der Reifezeit, insbesondere die für Bariton, illustrieren weder bloß Affekte, noch bringen sie Gefühle zu unmittelbarem Ausdruck: Sie machen psychologische Handlungsmuster einsichtig. Gerhahers Singen evoziert immer nur Schatten von Rollenbildern und summiert sie zu einem erotischen Pauschalmonolog in Sepia. Sie voneinander zu scheiden, möchte man sie nicht als bearbeitete Konzertmitschnitte hören, sondern auf der Opernbühne dargestellt sehen. Auch von Gerhaher.

Christian Gerhaher Mozart-Arien Sony Classical 2015 www.gerhaher.de