© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Prinz Sebastian Krumbiegel verkündet in der Deutschlandfunk-Sendung „Zwischentöne“, es gäbe „viele Leute im Osten, die daran kranken, daß ihnen ihre Heimat genommen wird“. Freilich gilt dieses Fazit nicht für Pegida. Schließlich sei es „beschämend“, daß der sächsische Innenminister „die falschen Leute“ – etwa die Antifa und den Pfarrer Lothar König – kriminalisiere. Gleichwohl ermahnt Krumbiegel sich selbst: „Man muß die Gratwanderung vollbringen, nicht der Heilsverkünder zu sein.“


Vor Jahresende klang das noch anders: Im Kesselhaus der Kulturbrauerei, beim Jubiläumskonzert des Rocksängers André Herzberg zu dessen 60. Geburtstag – dieKonzerteinnahmen gehen an den Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge –, singt Krumbiegel agitpropmäßig, wie im DDR-Pionierlied: „Diese Welt ist unbezahlbar – wenn wir wollen, kriegen wir das hin, na klar, wir schaffen das, das sagt selbst die Kanzlerin.“ Weiter geht es im politisch-korrekten Versmaß: „Kein Mensch ist illegal, wir sind doch international.“ Schließlich sei es „die große weite Welt, wo ich zu Hause bin, überall will ich willkommen sein.“ Eine Journalistin, deren Blick ich auffange, verdreht wie ich die Augen, fast wollen wir aus dem Saal flüchten.


Willkommenskultur will gelernt sein. Reporter Alexander Osang eröffnet das Jubliäumskonzert seines Freundes Herzberg, Frontmann der Band Pankow, mit der tröstlichen Botschaft: „Je älter die Bands werden, desto früher wollen sie anfangen.“ Daß er diese „wunderbare Band“, deren eingefleischter Fan Osang in seiner Jugend war, jetzt vorstellen dürfe, sei für ihn „ein Traum“. Das reflexive Erwachen kommt mit dem Pankow-Song „Langeweile“, der Pophymne zum Ende der DDR. Deren Refrain „Ich bin rumgerannt / zu viel rumgerannt (...) ist doch nichts passiert“ paßt unfreiwillig ironisch auf die Pegida-Demonstrationen in Dresden und andernorts.


Während prominente Rockmusiker auf der Bühne gratulieren – so Toni Krahl, Dirk Michaelis, Dirk Zöllner oder Stefan Stoppok – kommentieren zwei abgeklärte Typen hinter mir das Jubiläum mit dem Fazit: „Die Frage ist, wer es mit 60 geschafft hat, damit auszukommen.“ Die minderjährigen Flüchtlinge haben da ein zusätzliches Problem. So höre ich von betroffenen Ärzten, die minderjährigen Flüchtlinge würden oft als gemeinsames Geburtsdatum den 1. Januar 1993 angeben – womit sie unversehens Erwachsene sind: Da kommt auf den Bundesfachverband eine existentielle Bildungsaufgabe zu.