© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Der Flaneur
Der Deutschen liebstes Spiel
Bente Holling

Auf der Rückseite der Reihen­haussiedlung schlängelt sich ein Fahrradweg aus der Stadt. Vorbei am Betriebshof des städtischen Grünflächenamtes in Richtung Schwimmbad. Um das mit Graffiti vollgesprayte Transformatorenhäuschen und den Abwasser-Düker herum. Man kann nicht sehen, wohin der Weg hinter der nächsten Biegung führt. Aber man hört, daß hinter den kahlen Bäumen und Sträuchern irgend etwas Gewaltiges los sein muß. Der Wind trägt Fetzen lauten Geschreis heran. Es klingt bedrohlich. Ein großer Tumult? Die Stimmen wogen auf und ab, manchmal rhythmisch. Eine aggressive Demonstration?

Sie rennen und rackern, sie stürzen und schwitzen, sie kämpfen und rempeln.

Hinter der nächsten Biegung kann man einzelne Sätze heraushören: „Den hast du!!“, „In die Mitte!!“, „Maaaannn!!“ Dann ein vielstimmiges, anschwellendes Hoauuuu! Dann ein lauter Knall. Dann stakkatohaft „Komm, komm, komm!“, „Alle mit nach vorne!“

Die nächste Kurve gibt das Panorama frei: Was man hier längst hört, bevor man ihn sieht, ist der Fußballplatz der Kreisligisten. Gelb-Weiß gegen Null-Neun. Sie rennen und rackern, sie stürzen und schwitzen, sie kämpfen und rempeln. Wie jeden Sonntag, egal was die „Wetter-App“ sagt. Und unausweichlich läßt die Hälfte hinterher fluchend die Köpfe hängen, während die anderen die Helden des Tages sind.

Freunde und Familien stehen auf der Aschenbahn am Spielfeldrand und fachsimpeln. Je nach Spielstand ist der Boden viel zu hart (oder weich) und der Schiri offensichtlich ein Blinder. Auch außerhalb des Zaunes bleiben vereinzelte Spaziergänger stehen und sehen zu, so wie ich.

Da kommt die nächste Angriffswelle. Der Ball scheppert vor den Metallzaun, daß die Elstern auf den Pfosten erschreckt auffliegen. Der Torwart schreit seine Verteidiger an. Jetzt weiß ich auch, was der Knall vorhin war: ein Granatenschuß an die Latte.