© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Gewalt statt Schutz
Asylkrise: Eine Tagung in Berlin beleuchtet die Situation von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften
Elena Hickman

Es klingt so einfach: „Wer schlägt, muß gehen“, stellte die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIM), Beate Rudolf, fest. Aber dieser Grundsatz sei in Flüchtlingsunterkünften nicht so leicht umzusetzen, denn „der Flüchtling, der schlägt, ist verpflichtet, sich in der Unterkunft aufzuhalten“. Ein trauriges Beispiel, wo Gewaltschutz und Asylrecht aufeinanderstoßen – und die Verlierer sind häufig Frauen. Um gemeinsam über Lösungen für sexuelle Gewalt gegen Frauen zu diskutieren, hatten die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz (SPD), und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem DIM zu einer Tagung geladen. Unter dem Motto „Frauen in Flüchtlingsunterkünften: Lage erkennen – Rechte wahren“ waren vergangene Woche über 300 Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Praxis in Berlin zusammengekommen.

Etwa ein Drittel der Asylsuchenden in Deutschland sind Frauen und Mädchen. Viele von ihnen sind unter anderem vor geschlechtsspezifischer Gewalt in ihren Herkunftsländern geflohen und haben auch auf ihrer Reise Gewalt erlebt. Aber selbst in den Flüchtlingsunterkünften hier in Deutschland seien sie besonders gefährdet, sagte Rudolf.  Die Frauen seien oft isoliert, hätten zuwenig Zugang zu einem Unterstützungssystem und würden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen unterliegen. Die Expertin forderte deshalb, daß „verbindliche Vorgaben für den Schutz der Rechte von Frauen in Flüchtlingsunterkünften geschaffen werden, daß die Einhaltung regelmäßig kontrolliert wird, aber auch, daß Räume für Frauen geschaffen werden, die von Gewalt betroffen sind“.

 Erste Maßnahmen seien bereits angestoßen worden, berichtete die Familienministerin. Ab März wolle der Bund insgesamt 200 Millionen Euro den Kommunen zur Verfügung stellen, die ihre Erstaufnahmeeinrichtungen mit Schutzräumen für Kinder und Frauen ausstatten. Zusätzlich sei auch eine Kooperation mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) geplant. „Unicef wird uns dabei unterstützen, daß wir das Personal vor Ort schulen“, so Schwesig. Dabei würde es vor Ort nicht am guten Willen mangeln, unterstrich sie, „sondern einfach an personellen und finanziellen Kapazitäten“. Die Familienministerin bestätigte auch, daß demnächst jeder Helfer in einer Flüchtlingsunterkunft ein Führungszeugnis vorlegen müsse.

 Es gebe einige Meldungen von Mitarbeitern und Verbänden zu sexueller Gewalt in den Notunterkünften, sagte Özoguz und gestand gleichzeitig, „aber wir haben keinen genauen Überblick“. Doch: „Wir sollten natürlich auch nicht spekulieren.“ Frauen würden Gewalt häufig aufgrund von sprachlichen und kulturellen Hindernissen nicht anzeigen. 

„Jeder Übergriff ist einer zuviel“ 

Deshalb sei es wichtig, betonte Schwesig, daß „die Frauen die zu uns kommen, wissen, welche Möglichkeiten es in unserem Land gibt, um Unterstützung zu bekommen“. Sprachkurse und der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse allen Frauen möglich gemacht werden, sagte die Ministerin und forderte Kinderbetreuung für die Integrationskurse und Gleichberechtigung als Schwerpunktthema in den Schulungen.

 Doch trotz all dieser Pläne sei „mit einer geringen Anzeigenbereitschaft zu rechnen“, sagte die Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa, Petra Follmar-Otto, da der Täter häufig aus der eigenen Familie komme. „Es gibt von Frauen die Sorge, daß sich eine Anzeige negativ auf das Asylverfahren auswirkt“, berichtete die Expertin. Die Handlungsmöglichkeiten von gewaltbetroffenen Frauen seien rechtlich sehr eingeschränkt, wobei es nicht nur um die erwähnte Residenzpflicht gehe, sondern beispielsweise auch um finanzielle Fragen. Dabei könnten tatsächlich Lösungen gefunden werden, betonte Follmar-Otto, wenn Behörden kurzfristig zusammenarbeiten würden.

 Mit Blick auf die sexuellen Übergriffe in der Silversternacht in Köln und anderen Städten stellte Schwesig klar: „Das darf jetzt nicht dazu führen, daß alle unter Generalverdacht kommen.“ Es gäbe keine massenhaften Übergriffe in Flüchtlingsheimen. Gleichzeitig warnte sie aber auch, die Probleme nicht „totzuschweigen“. Für sie sei klar: „Jeder Übergriff ist einer zuviel.“