© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Auf eigene Faust
Innere Sicherheit: Nach den Übergriffen in Köln und anderen Städten organisieren sich vielerorts Bürgerwehren
Christian Schreiber

Die Einträge klingen martialisch: „Wir holen uns unser Land zurück.“ Oder: „Wir schützen unsere Frauen.“ Im Zuge der Übergriffe in der Silvesternacht in mehreren deutschen Städten haben sich in sozialen Netzwerken wie Facebook Bürgerwehren gebildet, die dazu aufrufen, in Innenstädten Patrouille zu laufen. 

Die tatsächliche Resonanz ist nach Aussage von Sicherheitsbehörden weitaus geringer als die Aktivitäten im Netz es vermuten lassen. Dennoch sah sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zu einer Klarstellung genötigt. „Es ist nicht die Aufgabe von Bürgerwehren oder anderen selbsternannten Hobby-Sheriffs, Polizei zu spielen“, sagte Maas der Saarbrücker Zeitung. Die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung „ist und bleibt Aufgabe des Staates“, stellte Maas klar. Das staatliche Gewaltmonopol dürfe niemand in Frage stellen: „Selbstjustiz werden wir nicht akzeptieren.“

In Europa haben Bürgerwehren eine lange Tradition. Im Mittelalter dienten sie zur Verteidigung der Städte, verloren aber mit dem Aufkommen stehender Heere im achtzehnten Jahrhundert ihre militärischen Aufgaben. Nennenswerte Resonanz erfuhren sie noch einmal in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg, als meist ehemalige kaiserliche Soldaten Freikorps gegen revolutionäre Bestrebungen organisierten. In den Vereinigten Staaten sorgten Bürgerwehren dagegen in der Vergangenheit häufiger für Schlagzeilen. Im Bundesstaat Oregon besetzten Mitglieder einer solchen Gruppe in der vergangenen Woche ein Justizgebäude. 

In Deutschland ist man von solchen Zuständen noch weit entfernt, dennoch warnt der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der saarländische Ressortchef  Klaus Bouillon (CDU). „Menschen, die helfen, Bürger, die wach sind, die der Polizei Informationen geben –  das wäre mir lieber“, sagte er dem Südwestrundfunk: „Ich habe meine Bedenken, was diese Gruppierungen angeht.“ Gleichzeitig zeigte Bouillon aber auch Verständnis für Ängste der Bevölkerung. „Es ist ja völlig verständlich, daß die Menschen jetzt sagen: Was ist eigentlich los bei uns?“ sagte er mit Blick auf den massiven Stellenabbau bei der Polizei in den vergangenen Jahren. 

Gesteigerte Nachfrage nach Pfefferspray

Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln und anderen deutschen Städten haben sich mehr als 13.000 Menschen der Facebook-Gruppe „Einer für alle, alle für einen … Düsseldorf paßt auf“ angeschlossen. Die Idee der Gruppe ist es, gemeinsam an Wochenenden oder bei Veranstaltungen durch die Stadt zu ziehen: „Schließlich hat ja jeder eine Freundin, Schwester, Mutter, Cousine, Tante, Schwägerin oder Frau“, heißt es in der Selbstdarstellung. Tatsächlich folgten dann nur rund 50 Personen dem Aufruf zur ersten „Bürgerstreife“. Der Organisator beklagte mittlerweile, daß Vertreter des rechten Spektrums Einfluß auf die Ausrichtung der Gruppen aus üben würden. 

Eine Einschätzung, die der Verfassungsschutz teilt. Vor allem in den östlichen Bundesländern seien im vergangenen Jahr mehrere Bürgerwehren aus Protest gegen die Einrichtung von Asylunterkünften gegründet worden, in einigen Fällen habe es sich dabei schlicht um Tarnorganisationen der NPD gehandelt. „Es muß mit aller Entschiedenheit verhindert werden, daß, und sei es auch nur punktuell, Parallelstrukturen aufgebaut werden“, mahnte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die meisten Aktivitäten seien allerdings von kurzlebiger Dauer, langfristige Strukturen bildeten sich nur selten heraus. Die rechtlichen Voraussetzungen für solche Bürgerwehren sind ohnehin eng gesteckt. Einen Straftäter auf frischer Tat zu stellen und bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten, dazu ist jeder Bürger berechtigt. Eine Waffe darf indes nur in einer Notwehrsituation eingesetzt werden. Bürgerwehren können sich auf keine Gesetzesgrundlage stützen, erläuterte Lea Voigt vom Deutschen Anwaltverein der Nachrichtenagentur dpa: „Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat, und nicht bei einzelnen Bürgern.“

Dennoch herrscht in der Bevölkerung offenkundig eine tiefe Verunsicherung. Der Verband Deutscher Büchsenmacher (VDB) meldet eine extrem große Nachfrage. „Nach den Terroranschlägen und den Terrorwarnungen erleben unsere Fachhändler einen massiven Andrang. Der Verkauf von Pfefferspray, Reizgas und Schreckschußpistolen hat sich im Vergleich zu 2014 mindestens verdoppelt“, sagte Verbandsgeschäftsführer Ingo Meinhard. Seit den Übergriffen an Silvester  steige der Umsatz weiter. „Inzwischen bieten sogar Apotheken Pfefferspray an“, so Meinhard. Sicherheitsbehörden ist dieser Trend ein Dorn im Auge. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW, Arnold Plickert, hält die zunehmende Bewaffnung für bedenklich: „Das ist der falsche Weg“, sagte er der Rheinischen Post: „Mehr Waffen bedeuten auch ein größeres Risiko, daß etwas passiert.“ Meinhard weist darauf hin, daß Pfefferspray und Schreckschußpistolen nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden dürften: „Wenn ich damit jemanden schwer verletze, muß ich mich eventuell vor Gericht dafür verantworten.“