© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Rasanter Ölpreisverfall sorgt nicht für Euphorie an den Börsen
Der Kuchen wird nicht größer
Thomas Fasbender

Zu Wochenbeginn fiel der Ölpreis unter 28 Dollar, das Niveau von 2003. Im März 2012 kostete ein Faß der Nordseesorte Brent noch fast hundert Dollar mehr. Die Aktienpreise fallen, und die Rohstoff-Indizes notieren so schwach wie seit 1998 nicht mehr. Allerdings: Nach der Asienkrise und auch Anfang der 2000er Jahre erholten sich die Märkte binnen kurzer Zeit. Oder ist es doch legitim, vom Ende des sogenannten Rohstoff-Superzyklus zu sprechen?

Ein Vierteljahrhundert lang hat das Dreigespann aus Globalisierung, der Rückkehr Chinas an die Welt­spitze und dem Nachholbedarf der Ostblockländer einen Wachstumsschub sondergleichen angefeuert. Die deutsche Exportquote – der Anteil der Ausfuhren an der Wirtschaftsleistung – hat sich seit 1990 verdoppelt. Das verdanken wir der Dynamik der Schwellenländer, dem EU-Binnenmarkt und der durch die EZB geschwächten Gemeinschaftswährung. Jeder zweite Euro wird in Deutschland inzwischen im Export verdient. Gleichzeitig macht uns die Abhängigkeit verwundbar. Wenn die chinesische Lokomotive an Zugkraft verliert und die Russen, schwer getroffen vom billigen Öl und den Sanktionen, keine Maschinen und Ausrüstung mehr bestellen, fehlt den deutschen Firmen der lebenswichtige Auftragseingang. Auch die stärkste Volkswirtschaft in Lateinamerika, Brasilien, erwartet 2016 das zweite Minuswachstum in Folge.

Eigentlich müßte der niedrige Ölpreis die Konjunktur befeuern – erst recht in einem Umfeld historisch niedriger Zinsen. Dafür sprechen jedoch weder die Entwicklung der Auslandsnachfrage noch die der Investitionsausgaben oder des privaten Konsums im Inland. Symptomatisch ist die Reaktion der Aktienmärkte. Statt angesichts billiger Energie in Optimismus zu verfallen, folgt die Börse der allgemeinen Depression. Die Anleger wissen genau: Wenn der Kuchen nicht größer wird, schrumpfen die Gewinne und damit auch die Dividenden und der Unternehmenswert.