© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Volkswagen bittet um Entschuldigung
Dieselaffäre: Der VW-Aktionsplan reicht US-Umweltbehörden nicht / Konkurrenz fährt Absatzrekorde ein
Elliot Neaman

Auf der diesjährigen Detroit Auto Show (Naias) präsentierte BMW seinen M2 mit Dreiliter-Sechszylinder und 370 PS, Chrysler sein riesiges Familienauto Pacifica vor, den Nachfolger des elf Millionen mal verkauften Town & Country. Daimler stellte die neue E-Klasse vor, Ford die Aktualisierung des Pickups F-150, des meistverkauften Auto in den USA. Jeep feierte mit dem aufgefrischten Grand Cherokee sein 75jähriges Jubiläum, GMC die neueste Generation des Acadia, ein geräumiger Allradler mit 3,6-Liter-Sechszylinder und 314 PS. Honda freute sich über die Auszeichnung „North American Car of the Year“ für seinen Kompaktwagen Civic, Volvos Spitzenmodell XC90 ist „North American Truck of the Year“.

„Wir sind keine kriminelle Marke“

Der VW-Konzern hat nichts zu feiern: Laut Bloomberg-Analyst Kevin Tynan drohen im schlimmsten Fall Strafen und Wiedergutmachungsleistungen von bis zu 46 Milliarden Dollar. Beim Pressegespräch am Vorabend der Naias-Eröffnung mußte VW-Chef Matthias Müller unangenehme Fragen beantworten und nochmals zugeben, in Dieselmotoren eine Software installiert zu haben, die die Abgaswerte nur auf dem Prüfstand senkt. In die Enge getrieben, betonte er: „Wir sind keine kriminelle Marke und keine kriminelle Gruppe!“

Guter Rat ist derzeit im doppelten Sinne teuer für die Unternehmensleitung, denn deren Zukunftspläne stimmen offenbar nicht mit denen der US-Regierung überein. Die Streitpunke gehen weit über den Betrugsskandal (JF 42/15) hinaus, wobei sowohl der Pkw-Dieselmotor in Gefahr ist, als auch die Frage geklärt werden muß, was für ein Unternehmen VW künftig sein möchte.

Markenvorstand Herbert Diess präsentierte auf der Elektronikmesse CES am 5. Januar in Las Vegas den Prototyp „Budd-e“, eine Art VW-Bulli mit Elektroantrieb und „Internet of everything“. Gleichzeitig entschuldigte er sich für „Dieselgate“ und versprach, daß „nie wieder so etwas passieren wird“. Diess zeigte sich zuversichtlich, daß VW zu einer Einigung mit der US-Umweltbehörde EPA und der kalifornischen Emissionsschutzbehörde Carb kommen werde. EPA-Chefin Gina McCarthy warnte, man habe „noch keinen zufriedenstellenden Weg nach vorne gefunden“.

Und so kam es auch: Volkswagen-Chef Matthias Müller konnte während des nur einstündigen Spitzengesprächs keinen Durchbruch erzielen. Die Carb hatte bereits zuvor das VW-Konzept zur Umrüstung der manipulierten Zwei-Liter-Dieselmotoren zurückgewiesen. Die Vorschläge zur Einhaltung der Abgasnormen seien unvollständig, mangelhaft und reichten „bei weitem für die Erfüllung der rechtlichen Anforderungen nicht aus“.

In Europa hat VW bereits damit begonnen, die dort betroffenen 8,5 Millionen Autos zu reparieren. Und da nun offensichtlich auch Dieselmotoren von Renault ins Gerede kommen, dürfte der Druck auf die Brüsseler Behörden noch größer werden, die EU-Autokonzerne – und wichtigen Steuerzahler – nicht in die Pleite zu treiben. Das Problem in den USA liegt darin, daß die betroffenen 600.000 Dieselautos auf Amerikas Straßen teilweise bis zu vierzigmal so viele Stickoxide (NOX) ausstoßen, wie nach den EPA-Standards erlaubt wären.

Die alte Euro-5-Norm erlaubt 0,18 Gramm NOX-Ausstoß pro Kilometer, die aktuelle Euro-6 0,08 Gramm – der EPA-Grenzwert liegt bei 0,043 Gramm. Dessen Einhaltung ist mit vertretbarem Aufwand kaum möglich. VW erwägt daher einen Rückkauf aller Dieselautos in den USA – eine Idee, die auch zwei US-Senatoren in einem Brief an den Chef von VW Amerika, Michael Horn, angeregt hatten. Die europäischen VW-Kunden erfahren weniger Entgegenkommen. Und da Sammelklagen in der EU bislang unüblich sind, hat sich unter dem Namen „Stichting Volkswagen Car Claim“ eine Stiftung nach niederländischem Recht gegründet, die die Interessen der VW-Fahrzeughalter vertreten soll. Prominenter Unterstützer ist die auf Verbraucherschutz spezialisierte Kanzlei des FDP-Politikers und Ex-Innenminsters Gerhart Baum.

Kalifornien setzt traditionell strengere Umweltregeln

In den USA werden die Abgasstandards prinzipiell von der EPA festgesetzt – Kalifornien setzt traditionell darüber hinausgehende strengere Regeln. Dessen Carb beaufsichtigt einen der größten Automärkte der Welt. Der Carb-Vorreiterrolle folgen oft andere Staaten und teilweise sogar die EU. Kalifornien will daher anders als die EPA auch den Ausstoß von sogenannten Treibhausgasen wie CO2 viel stärker reglementieren – nicht nur aus Pkw-Auspuffen.

Der Dissens zwischen Kalifornien und den Bundesbehörden im allgemeinen und den meisten Republikanern besteht in der Haltung zum menschenverursachten (antropogenen) Klimawandel. Kalifornien vertritt hierbei eine sehr viel strengere Position: Zero Emission ist ernst gemeint – Treibhausgasemissionen, egal ob sie von Transportmitteln, der Energieversorgung, der Luftfahrt, der Kälte- und Klimatechnik oder Landwirtschaft stammen, sollen möglichst auf Null reduziert werden.

Nicht von ungefähr hat deshalb beispielsweise der Elektroautohersteller Tesla Motors im kalifornischen Palo Alto seinen Unternehmenssitz. Geschäftsführer Elon Musk, der mit dem Internetbezahldienst PayPal reich wurde, und derzeit auch in die Raumfahrt (SpaceX) und in Akku/Batterie-Netzen investiert, hat VW dazu aufgefordert, alle Dieselautos aus seinem Programm zu nehmen. In einen Brief an die Carb, der von 40 anderen Unternehmern mitunterzeichnet war, bezeichnete Musk Dieselmotoren als technologische Sackgasse. Er schlug vor, VW von seinen juristischen Verpflichtungen bezüglich des Abgasskandals zu befreien. Im Gegenzug solle VW sich verpflichten, sich in ein Null-Emissions-Unternehmen zu verwandeln – sprich: auf Elektroautos oder Brennstoffzellen-Technik zu setzen. Ansonsten werde „eine gigantische Geldsumme dafür verschwendet werden, Autos zu reparieren, die jedoch nicht alle repariert werden können“.

Musk vertritt eine Minderheitenposition in den USA, und VW zählt zusammen mit Toyota und GM zu den drei größten Autofirmen der Welt. Doch der Gegenwind, der VWs Dieselfahrzeugen in den USA entgegenschlägt, ist schon jetzt stark. In Detroit kostete vorige Woche ein Liter Benzin 45 Cent, Diesel 60 Cent. Aber das billige Öl wird irgendwann wieder teurer. Airbag, Drei-Wege-Katalysator oder strenge NOX-Grenzwerte – was in Kalifornien eingeführt wurde, hat sich letztendlich auch in Europa und später sogar in China durchgesetzt.

Für 2025 strebt die US-Regierung einen Durchschnittsverbrauch für Neuwagen von 4,3 Litern pro 100 Kilometer an (Reichweite von 54,5 Meilen pro Gallone Kraftstoff). VW wird sich diesen Fakten stellen und entscheiden müssen, was für eine Art Fahrzeughersteller die Wolfsburger künftig sein wollen. Das in Detroit von Volkswagen präsentierte Konzeptfahrzeug Audi H-Tron Quattro, eine Kombination von Brennstoffzellen- und Batterieauto, ist daher kein Kotau vor den Grünen, sondern eher ein Zeichen guten Willens an EPA und Carb, der dem Konzern vielleicht sogar Milliardenzahlungen ersparen könnte.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Detroit Motor Show (NAIAS) 2016: naias.com

Europäische Sammelklage gegen VW: stichtingvolkswagencarclaim.com/de

Foto: US-Chef von Volkswagen, Michael Horn, auf der Automesse in Detroit: Was soll mit den 600.000 VW-Dieselautos auf US-Straßen geschehen?