© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Pankraz,
Maron/Fuhr und das Regime der Bonzen

Kleinmut kommt nach dem Fall. Die Art und Weise, wie sogenannte „gemäßigte“, „bürgerliche“, auf politischen Kurswechsel  hoffende Geistesarbeiter auf die derzeitige Krise reagieren, ist doch ziemlich deprimierend. Man muß sich Sorgen machen.  Eckhard Fuhr zum Beispiel beklagt sich in einem Artikel in der Welt über einige Bekannte, die nach neuen, haltbar organisierten Parteien vom Schlage der AfD Ausschau hielten; es gäbe doch schon alles, meint er, ein breites Spektrum von der CDU/CSU bis zu den Linken, von Merkel bis Wagenknecht, was wolle man denn noch mehr?

Monika Maron schlägt in die gleiche Kerbe. „Aber was tun wir“, fragt sie in einem Artikel in der FAZ, „die weder mit Pegida spazierengehen noch die AfD wählen wollen und trotzdem davon überzeugt sind, daß ein nicht absehbarer Flüchtlingsstrom Deutschland  (. . .) in seinem politischen und kulturellen Fundament gefährdet? Warum gehen wir nicht wie die freiheitsliebenden Polen auf die Straße, um von der Regierung zu fordern, daß sie das Gesetz nicht bricht? Warum stehen wir nicht an einem Sonnabend vor dem Reichstag und protestieren gegen eine kopflose Flüchtlingspolitik?“

Ja, warum wohl? Man kann zwar mit einigem Grund argumentieren, daß es nicht unbedingt die Aufgabe von Schriftstellern sei, sich ausgerechnet an kalten Samstagen vor dem sitzungsfreien Reichstag die Beine in den Bauch zu stehen, aber das Bild hat ja auch Symbolwert: ein „gemäßigter“, bieder auf Vernunft hoffender deutscher Geistesarbeiter stellt sich, wenn er politische Änderungen will, vor das momentan leere Funktionsgebäude der etablierten Macht und holt sich dabei einen Schnupfen. Mehr fällt ihm nicht ein. Deprimierend!


Realistische Alternativen zum Phrasenarsenal des herrschenden Machtkartells kann er sich nicht mehr vorstellen, dieser „bürgerliche“ Geistesarbeiter. Er übernimmt voll den Katalog der Totschlagwörter,  den sich das Kartell ausgedacht hat, um keine Konkurrenz aufkommen zu lassen.  Er kommt gar nicht mehr auf den Gedanken, daß es auch eine praktikable Politik außerhalb des Kartells gibt. Er ist das, was der berühmte Politologe Robert Michels (1876–1936) einst als bloßes „Bonzo-Tier“ beschrieb, als jemand, der in der Politik nur noch auf offizielle Bonzentrommeln reagiert.

Für Michels, ursprünglich Sozialdemokrat, später gemäßigter Mussolini-Anhänger und zuletzt gnadenloser Kritiker jeglicher Form von politischer Organisation, war „Bonzokratie“ das Schlüsselwort für jegliche Form politischer Herrschaft. Sie war eine vom Volk völlig abgehobene Parteienherrschaft, eben die Herrschaft der „Bonzen“. Das Wort stammte aus Asien, wo es die rotgewandeten buddhistischen Klostermönche bezeichnete, die den ganzen Tag über nur mit sich selbst beschäftigt schienen und dabei andauernd dumpfe Gongschläge erzeugten: bonz, bonz, bonz.

Moderne Parteienherrschaft, so Michels, entwickelt sich im Laufe der Zeit, wenn nichts dagegen unternommen wird, automatisch zur Bonzokratie, nämlich zu einer nur noch die Eigeninteressen der Bonzen verfolgenden Politik. Die Bonzen-Interessen – so weiter Michels – entfernen sich immer weiter von den wirklichen Gemeininteressen. Anstehende Probleme werden (wenn sie überhaupt je entschieden werden) nur noch unterm Gesichtswinkel des eigenen Machterhalts entschieden.

Am Ende steht statt der Demokratie die Oligarchie, ein grelles Zerrbild der altbekannten Aristokratie, wo die etablierten Parteien sich im Grunde weitgehend einig sind und nur noch Schaukämpfe gegeneinander ausfechten. Sie bilden eine Art „Closed Shop“, eine geschlossene Gesellschaft, die sich mit allen Mitteln gegen Neuzugänge abschottet. Und je mehr sich die Parteien aus einstigen Ad-hoc-Wahlvereinen zur durchgestylten Superorganisation mit feststehenden Programm-Phrasen (etwa „Wir sind doch alle Antifaschisten!“) und hohem Parteivermögen entwickeln, um so bonziger werden sie.


Der Höhepunkt der Bonzigkeit ist erreicht, wenn sich die herrschenden Parteipolitiker und die in den Medien herrschenden intellektuellen Alphatiere zu einem politisch-medialen Komplex zusammenschließen und dafür sorgen, daß – angesichts der noch verbleibenden Überlebens- und Karrierechancen – auch die bis dato noch unabhängigen, „gemäßigten“, „bürgerlichen“ Geistesgrößen sich zu Bonzo-Tieren à la Michels herabstufen lassen. Dieser Zustand ist in Deutschland wohl mittlerweile erreicht. Maron und Fuhr sind ja weiß Gott nicht die einzigen, die mit Unterwerfungsgesten wie den oben erwähnten auffällig werden.

Was wäre dagegen zu tun? Nun, vielleicht sollten die Betroffenen mehr Norbert Bolz lesen. Der hat in einem Essay über die politischen Aussichten „bürgerlicher“ Intellektueller hierzulande schon vor Jahren präzise Auskunft gegeben.  Angela Merkel, schrieb er seinerzeit, habe aus der CDU „endgültig eine sozialdemokratische Partei gemacht (…) Könnte die Anpassung der CDU an den linken Zeitgeist heute nicht auch zur Abspaltung einer ‘Rechten’ führen, die den Erfolgreichen, denen man bisher erfolglos den Namen ‘Leistungsträger’ angedient hat, eine neue geistige, nämlich konservative Heimat anbietet?“

Und weiter Bolz: „Die erste Aufgabe einer anspruchsvollen politischen Rechten wäre, zu sagen, was die Politische Korrektheit der Medienlinken zu sagen verbietet. Mehr noch als Ideen braucht man dazu Mut, denn in unserer Öffentlichkeit herrscht keine Waffengleichheit. Die Medienlinke hofiert die Linken und denunziert die Rechten. Auf der Kommunistischen Plattform darf man fröhlich tanzen. Aber wehe, wenn man der JUNGEN FREIHEIT ein Interview gibt. Gerechtfertigt wird das mit der alten deutschen Selbstverständlichkeit, das Herz schlage links.“

Geradezu beneidenswert dann die Schlußwendung in dem Bolz-Essay: „Es gibt ja heute keinen einzigen deutschen Linksintellektuellen von Format – und das liegt eben daran, daß die offiziellen Gegenstimmen fehlen.“