© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Fäkalsprache I: „Sch …“ ist mittlerweile geläufig und allgegenwärtig. Das Bedeutungsspektrum reicht vom Ausdruck der Überraschung und sogar der Trauer bis zur saloppen Feststellung des eigenen Gemütszustands oder fremder Gesamtverfassung. Man hat es hier mit dem Endpunkt einer Entwicklung zu tun, die schon vor langer Zeit einsetzte. Dabei geht es erstens um jene als „Wertewandel“ verharmloste „Proletarisierung“ der Lebensstile, zweitens um die Bedeutung der Medien als heimliche Erzieher, drittens um die gesamtgesellschaftliche Formschwäche, von der Johannes Gross Anfang der 1990er Jahre meinte, sie habe damit zu tun, daß sich niemand mehr traue, „das Gesindel an die Kandare“ zu legen.

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Bedauerlich, daß Schäubles Plan einer Sondersteuer zur Finanzierung der Flüchtlingskrise so schnell vom Tisch war. Die Umsetzung hätte der AfD geholfen, die Zwanzig-Prozent-Hürde zu nehmen.

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Zu den weniger beachteten Ergebnissen der Regionalwahlen in Frankreich gehört der Achtungserfolg der Union des Démocrates Musulmans Français (UDMF), der „Union der demokratischen Moslems Frankreichs“. Die Partei trat nur im Bereich der Île-de-France an, konnte in einem Fall immerhin 5,9 Prozent der Stimmen und damit mehr Zuspruch als die französischen Grünen erreichen. Die UDMF verlangt Schulspeisung entsprechend den islamischen Speisegesetzen, die Aufnahme des Arabischen ins Lehrangebot und den Schutz des islamischen Finanzwesens. Sie betrachtet sich als Sprecherin jener Franzosen, die die „Erben der volkstümlichen Wohnviertel“ sind, und kündigt die Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2017 an.

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Man hat die Landstraße, an der der Häuserblock liegt, in dem ich aufgewachsen bin, an einer Seite als Verbindung abgeschnitten. Die Brücke, die zum nächsten Ort führt, blieb stehen, nur befahrbar ist sie nicht mehr. Was sich heute kaum noch jemand vorstellen kann, ist die Anziehungskraft, die von dieser Straße für uns als Kinder ausging. In den frühen sechziger Jahren waren Autos zwar längst keine Sensation mehr, aber Lkws mit Anhänger oder Cabrios schon; ein dunkelgrünes Mercedes Coupé ließ uns immer zusammenlaufen und mit offenem Mund der raschen Fahrt nachstarren. Die größte Begeisterung lösten aber während der Manöverzeit die Panzer aus, die in Kolonne kamen. Die älteren Jungs machten fachsimpelnde Bemerkungen, keinerlei pazifistischer Reflex. Oft standen Soldaten in den Turmluken und winkten uns zu, und wir winkten zurück und liefen – zum Entsetzen unserer Mütter – johlend und lachend hinter den schwer mahlenden Ketten her.

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Der Bedeutungsverlust des Doktortitels wird auch daran deutlich, daß sich die Doktoren untereinander „doktern“. Es ist eben nichts mehr mit der wahren Gleichheit, der in der Elite, von der Ernst Jünger sprach.

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Fäkalsprache II: „Wo bleibt endlich die Autorität in diesem Sch…staat?“ (Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Scheu im Arbeitskreis „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ des CSU-Parteitags, 8. November 1992).

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Die aktuelle Empörung gegen jedes ehrende Erinnern an Cecil Rhodes paßt natürlich ins Bild der Maßnahmen, mit denen in den letzten Jahrzehnten gegen die alten, bösen, weißen Männer vorgegangen wurde. Indes sei bedacht, daß Rhodes nicht einfach nur ein Nationalist, Kolonialist, Imperialist, Rassist war – das alles war er ohne Zweifel –, sondern auch ein sehr weitblickender Mann: Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte er klar erkannt, daß Großbritannien seine Position auf die Dauer nicht allein würde halten können, sondern alle Glieder der „master race“ – gemeint war die „englischsprechende“ – zusammenstehen müßten, insbesondere das Vereinigte Königreich und die USA, um die Weltherrschaft zu sichern; außerdem hatte er begriffen, welche Bedeutung dem zukommt, was man heute „soft power“ nennt, also die Lenkung des menschlichen Denkens, die Rekrutierung von Sympathisanten an den Schaltstellen einer Gesellschaft, die Schaffung von Netzwerken zwecks indirekter Einflußnahme; dem allen diente und dient die Einrichtung der berühmten Rhodes-Stipendien. 

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In die Jahre gekommene Adreßbücher wirken wie Endmoränen, nachdem der Gletscher zurückgegangen ist: Daten von Abtrünnigen, Verschollenen, Verzogenen, Verstorbenen finden sich da. Aber auch das ist ein Relikt. Einen Kontakt aus dem Smartphone zu löschen ist eben allemal einfacher als das Tilgen schriftlicher Einträge.

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Bedenkt man den Opportunismus, der notwendig dazugehört, ein großes Medium am Markt zu halten, darf man die Titel der beiden letzten Ausgaben des Spiegels als besonders aufschlußreich betrachten: „Auf der Kippe“ und „Staatsohnmacht“.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. Februar in der JF-Ausgabe 6/16.