© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Das Lachen hallt finster nach
Horror mit Humor: Regisseur Nikias Chryssos zeigt in seiner Filmgroteske „Der Bunker“ unterirdische Beziehungsgeflechte
Sebastian Hennig

Franz Kafka soll während einer Lesung aus seinem Roman „Der Prozeß“ immer wieder in schallendes Lachen ausgebrochen sein. Der nachgeborene Leser tut sich schwer damit, in dieses Lachen einzufallen. Die Ausweglosigkeit der beschriebenen Situation drückt als unheimliche Last auf den Lebensnerv. Eben diese Last hat sich Kafka damit von der Seele geschrieben. Es war nicht seine Absicht, seine Leser zu beunruhigen, als vielmehr das Aussichtslose mit einer Beschreibung zu bannen.

Filmregisseur Nikias Chryssos verfolgt mit seiner Horrorkomödie „Der Bunker“ die gleiche Intention. Der Film ist nicht so komödiantisch, daß die Späße dem Schrecklichen die Spitze abbrächen. Für einen reinen Horrorfilm allerdings sind die Beschreibungen zu realistisch und zu geistreich.

Ein junger Gelehrter (Pit Bukowski), fortan nur „Der Student“ genannt, sucht ein halb unterirdisches Waldhaus auf, um dort in Zurückgezogenheit geistiger Arbeit zu obliegen. Der Hausherr (David Scheller) führt ihn in den Kellerraum mit niedriger Decke und ausgeleierter Pritsche. Die Gastgeber entpuppen sich bald als Geiselnehmer.

Der ambitionierte Jüngling steht fortan auf einsamem Posten gegen eine schreckliche Familie, die ihn nach ihrem Gusto zu modeln weiß. Unter dem Druck seiner eigenen Leistungsansprüche stehend, kann er sich den Erpressungen der Herbergseltern nicht entwinden. Da der Student niemanden hat, mit dem er sich über seine Lage austauschen könnte, gleitet er notgedrungen immer tiefer in die Bunkerwelt ab.

Der Zuschauer wird davon gleichermaßen gequält wie belustigt. Abgründige Situationen erinnern an Roman Polanskis „Der Mieter“. Zugleich wirkt der Übermut so befreiend, wie Helge Schneiders filmische Phantasien. Dreiste Unsicherheit und halbseidenes Gehabe, Hysterie und Engherzigkeit werden durch Oona von Maydell und David Scheller als Elternpaar virtuos dargestellt. Dämonie und übersinnliche Kräft regieren über den Hausstand. Die Mutter erreichen aus einer schwärenden Wunde am Bein die Anweisungen eines männlichen Orakels. Dessen Wille hat im gesamten Haus Gesetzeskraft. Möglicherweise ist es nur ihre instinktive List. Ihrem buckligen Sohn Klaus (Daniel Fripan) reicht sie noch die Brust. Diese Anspielungen lassen sich nicht in psychoanalytische Parabeln auflösen. Sie sind aus der Fabulierlust und Spielfreude entstanden. Der Spielfilm ist eine Filmspielerei, die konzentriert den eigenen Regeln folgt, sich dabei aber nicht in rationaler Kausalität festfährt. Die starken Bilder genügen sich selbst. Ihre metaphorische Kraft ist nicht zielgerichtet.

Der Student wird vergattert, dem idiotischen Nesthäkchen Unterricht zu erteilen, von dem die Eltern erwarten, daß er mindestens Präsident wird. Nach einigen vergeblichen Versuchen, den zurückgebliebenen Sproß zu belehren, muß der unfreiwillige Hauslehrer einsehen, daß schlagende Argumente am sichersten die Kenntnis in das Hirn eines Unwissenden versetzen. Wissensvermittlung geschieht nicht als Gedankenübertragung, sondern als blutiger Ernst.

In absurder Folgerichtigkeit löst gerade die Hemmungslosigkeit bei ihm die eigenen schöpferischen Blockaden auf. Die Mutter wird ihm im Wortsinn zur Alma mater. Als er doch noch Herz und Seele seines Zöglings zu erreichen strebt, beginnt er sich selbst ganz zu verlieren.

Es geht dem Film nicht darum, einmal mehr die Familie als Hort dumpfer Repression vorzuführen oder die autoritäre Pädagogik anzuprangern. Eher ist das Gegenteil der Fall. Nikias Chryssos schiebt den Schwarzen Peter nicht auf eine Seite. Der Anmaßung der schlichten Gemüter entspricht die Begriffsstutzigkeit des Gescheiten. Die Kämpfe zwischen den vier Personen gären im Unsichtbaren, werden mit Geisteskraft ausgetragen, von Geistern ferngelenkt und enden erst am Schluß im blutigen Handgemenge. Aber auch das wirkt wenig entlastend. Denn der Kreislauf des Irrsinns schließt sich sofort wieder, wie eine Schlammpfütze, in die ein Stein geworfen wurde. Ein Tausch der Identitäten bekräftigt nur eine zuvor unsichtbar vollzogene Wandlung. Der Mann, der am Ende das Waldhaus verläßt, ist nicht jener, der zu Beginn dort eingetroffen ist.

Anders als der lapidare Titel vermuten läßt, wirkt der Film mehr poetisch als klaustrophobisch. Gemessen daran, wie trist Drehbuch und Kamera üblicherweise im Spielfilm mit Interieurs umgehen, weitet sich dieser Bunker zu einer ganzen Welt aus. Der Film erzählt das Leben als ein grausames Ereignis. Das vermeintlich Verkehrte wickelt sich mit der Präzision eines Uhrwerks ab. Daß jede Wendung überraschend bleibt, liegt nicht so sehr am Drehbuch als vielmehr an der Inszenierung und der schauspielerischen Leistung. Regisseur Chryssos wirkte hier ausweislich der Haltung seiner Figuren als allmächtigen Marionettenspieler. Als Meister der Mimik und Betonung treten die Schauspieler ihm als Komplizen an die Seite. Ohne diesen merklichen Selbstgenuß der Komödianten wäre eine solche Leistung nicht möglich gewesen. Das Lachen bleibt dem Zuschauer dabei nicht im Hals stecken. Aber es hallt finster nach. Der Humor des Films ist tiefschwarz und gnadenlos.

„Der Bunker“ ist eine unterhaltsame und lehrreiche Groteske über Identität, moralische Erpressung, Inspiration und Erziehung. Er wirkt wie ein klassischer Kultfilm, ohne daß dieser Eindruck durch kalkulierten nostalgischen Chic erzwungen wäre. Die Leere, welche der reine Nonsens und der pure Horror aufreißt, wird von der geheimnisvollen Schönheit der Bilder angefüllt.




Filmstart

In der Dokumentation „Hello, I am David – Eine Reise mit David Helfgott“ zeichnet die Regisseurin Cosima Lange ein Porträt des heute 65jährigen australischen Pianisten, der als „Wunderkind“ galt, bevor er jahrelang an einer schizoaffektiven Störung litt und erst spät wieder auf die Bühne zurückkehrte.