© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Er ergriff immer die Partei der Wissenschaft
Nachruf: Der Militärhistoriker Horst Boog war in seiner Domäne Luftkriegsgeschichte eine international anerkannte Instanz
Stefan Scheil

Wer es in der Bundesrepublik zu etwas gebracht hat, der hatte seine Karriere nicht selten mit einem USA-Aufenthalt begonnen. Je nach Persönlichkeit konnte das ganz unterschiedliche Auswirkungen haben, geschadet es selten. Auch der 1928 in Sachsen-Anhalt geborene Horst Boog verdankte dem transatlantischen Austausch des Jahres 1949/50 viel, an dem neben ihm auch Personen wie Horst Ehmke oder Hildegard Hamm-Brücher teilgenommen hatten.

Boog nutzte den Schwung dieser damals üblichen Mischung von Stipendiaten aus Politik und Gesellschaft. Er brachte aus den Vereinigten Staaten einen Studienabschluß in Anglistik, Philosophie und Geschichte mit. Letztere sollte das Thema seines Lebens werden, wobei der Weg dorthin allerdings kaum als eine gerade Linie bezeichnet werden kann. Bis zur Promotion über den Nationalsozialisten Ernst Graf zu Reventlow als einem Phänomen der deutschen Geschichte vergingen noch einmal fünfzehn Jahre.   

Erst danach kam mit dem Wechsel ins Freiburger Militärgeschichtliche Forschungsamt für Boog die Gelegenheit, sich auf die Zeitgeschichte zu konzentrieren. Als leitender wissenschaftlicher Direktor fiel seine Amtszeit in die teilweise aufregenden Jahre von Konzeption und Publikation der zehnbändigen Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“, dessen wegweisende Arbeiten zum Luftkrieg er selbst verfaßte. Auch an dem seinerzeit scharf umkämpften Band vier über den „deutschen Angriff auf die UdSSR“ war er als Herausgeber beteiligt. Es ging um die Frage, ob in einer offiziösen Veröffentlichung der Bundesrepublik andeutungsweise die These vertreten werden dürfe, man sei 1941 einem russischen Angriff zuvorgekommen. Sie wurde schließlich mit Ja beantwortet.

Boog gehörte in dieser und anderen Auseinandersetzungen nicht zu den entschiedenen Parteigängern der einen oder anderen Seite. Historiker wie Joachim Hoffmann oder Wilhelm Deist tauschten sich phasenweise, wenn überhaupt, nur noch über ihre Anwälte aus und landeten schließlich in einem Gerichtsstreit, den Hoffmann für sich entschied. Sein Kollege Rolf-Dieter Müller setzte dagegen unverhohlen auf die volkspädagogische Wirkung der neuen Geschichtsdarstellung, zur Not auf Kosten der wissenschaftlichen Präzision. Boog ergriff dabei gewissermaßen die Partei der Wissenschaft. Seine Kompetenz wurde von keiner Seite bezweifelt, fragwürdige politische Hintergedanken attestierte ihm niemand.

Den Schwerpunkt seiner eigenen Forschungstätigkeit legte er auf die Geschichte des Luftkrieges der Weltkriegsära. Hier avancierte er zum international anerkannten Experten und organisierte in Freiburg eine weltweit beachtete Konferenz zum Thema. Auch dabei legte Boog Wert auf einen sachlichen Tonfall, ohne die letzte Zuspitzung zu wollen. Er charakterisierte die britischen Brandbombenangriffe des Jahres 1942 als den Beginn der Terrorbombardements des Zweiten Weltkriegs und die Zerstörung deutscher Städte im Frühjahr 1945 als „militärisch überflüssig“. Daraus konnte jeder seine Schlüsse ziehen. Seit 2002 äußerte er sich regelmäßig zu Fragen des Luftkriegs als Autor in dieser Zeitung, zuletzt zu den geschichtspolitischen Mythen über die Luftangriffe gegen Wielun 1939 oder Guernica.

In den letzten Jahren äußerte sich Boog besorgt über das, was er gelegentlich die bundesdeutsche „Gesinnungsdemokratur“ genannt hat. Sie entsprach nicht dem, was er sehen wollte, ob nun innerhalb oder außerhalb des Historikermilieus. Allerdings können diese Zustände wohl auch als Spätfolge US-amerikanischer Einflußnahme verstanden werden, die nicht in allen Fällen so glücklich ausging wie bei Horst Boog. Am 8. Januar ist er verstorben.