© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Aufgeschnappt
Heikle Flüchtlinge
Matthias Bäkermann

Beim Thema „Flüchtlinge“ reagieren momentan alle Synapsen hypersensibel. Ein Junge mit altmodischem Pullunder und Schiebermütze und ein Mädchen mit beigem Kleid und Taillenkordel, beide tragen braune Koffer aus Hartpappe – so werben zwei junge Modelle bei Amazon für eine Verkleidung, die sich am Fasching ziemlich kurios vom Prinzessinnen-, Piraten- oder Spiderman-Einerlei abhebt: „Kinder-Kostüm Flüchtling“. Die Erklärung „1./2. Weltkrieg“ und in den „Größen 104–152“ vorrätig, ergänzt der Begleittext des Online-Anbieters. Wie der Stern vergangenen Sonnabend meldete, löste das bei den Amazon-Kunden sofort Wut und Betroffenheit aus. „Hochgradig enttäuscht“ bewerteten sensible Gemüter die „geschmacklose Idee“, das aktuelle Thema Flüchtlinge im Karneval anzurühren. Andere sehen Flucht und Vertreibung in obszöner Art verballhornt und echauffieren sich: „Haben Sie kein Hirn, Gewissen, Herz oder eine Seele?“

Dabei wäre die Aufregung wohl nur halb so groß, hätte nicht ein schnöder Übersetzungsfehler zur Verwirrung beigetragen. Denn die Kostüme spielen nicht auf Refugees, sondern auf Evacuees an. Damit sind englische Kinder gemeint, die in den Weltkriegen aus den Städten aufs sichere Land geschickt worden sind.