© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Stalins Begehren nach uigurischem Uran
Aus der Trickkiste sowjetischer Politik: Die kurzlebige „Republik Ostturkestan“ 1944 bis 1949 im heutigen Westchina
Jürgen W. Schmidt

Im Jahr 1943 stand man in der Sowjetunion wegen des klammheimlich angelaufenen Atomwaffenprogramms vor der Frage: „Woher das nötige Uran nehmen?“ Nur in Usbekistan hatte man bislang eigene, doch nicht sonderlich ergiebige Uranvorkommen entdeckt. Da meldeten eilig zur Uransuche ausgeschickte Geologen aus der an das sowjetische Mittelasien grenzenden, westchinesischen Provinz Xinjiang die Entdeckung ganz erheblicher Uranvorkommen. Jene Provinz Xinjiang war früher unter dem Namen „Ostturkestan“ bekannt und sie wurde mehrheitlich von den turksprachigen Uiguren, aber auch von Kirgisen, Usbeken und anderen mittelasiatischen Völkerschaften bewohnt, die sich meistens zum Islam bekannten. 

Am 16. Mai 1943 beauftragte das Politbüro in Moskau den mächtigen Geheimdienstchef Lavrenti Berija, der in Personalunion das sowjetische Atomwaffenprojekt betreute, mit der Klärung der ostturkestanischen Angelegenheit. Man entschloß sich kurzfristig, einen „Volksaufstand“ in Xinjiang gegen das marode chinesische Kuomintang-Regime zu organisieren. Dazu schuf man eine „Organisation für die Freiheit Ostturkestans“, welcher vorrangig Uiguren und Usbeken angehörten, die alle schon früher einmal eine geheimdienstliche, militärische oder politische Schulung in der Sowjetunion durchlaufen hatten. 

Armee wurde mit deutschen Beutewaffen ausgerüstet

Daß diese aufrührerischen Aktivitäten rein gar nichts mit einer etwaigen Unterdrückung indigener Völker durch die Chinesen zu tun hatten, beweist ein sehr bezeichnender Umstand. Auf Befehl des sowjetischen GKO (Staatliches Verteidigungskomitee) unter Leitung von Josef Stalin befaßte sich ab dem 20. August 1944 ein spezielles Komitee mit der nationalen Aufwiegelung der Uiguren. Diesem Komitee gehörten außer Berija und verschiedenen Geheimdienstgeneralen auch die beiden führenden sowjetischen Atomphysiker Igor Kurtschatov und Pjotr Kapiza als Mitglieder an. Es ging also eindeutig um das Uran aus Ostturkestan für die zu bauenden sowjetischen Atombomben. 

Jene zu schaffende „Islamische Volksrepublik Ostturkestan“ sollte sich zuerst einmal von China separieren, danach als ein sowjetischer Quislingstaat bestehen und letztlich wohl ganz der Sowjetunion als neue Unionsrepublik angeschlossen werden. Ab dem Frühjahr 1944 wurde die antichinesische Propaganda in Xinjiang forciert und bald darauf zum bewaffneten Kampf der Uiguren gegen die schwachen örtlichen Kuomintang-Garnisonen übergegangen. Bereits im November 1944 brach die Kuomintang-Verwaltung in Xinjiang zusammen, und es konstituierte sich eine „Ostturkestanische Regierung“ aus prosowjetisch gesinnten Uiguren und Vertretern anderer mittelasiatischer Völkerschaften. 

Die neue Regierung stand zugleich dem Islam nahe und war ab sofort in bewaffnete Kämpfe mit der zentralchinesischen Kuomintang-Regierung verwickelt. Dazu baute man eine ostturkestanische Armee auf, deren Offiziere vorher oft sowjetische Offiziere gewesen waren und deren Soldaten häufig usbekische und kirgisische Wehrpflichtige waren, die man der Einfachheit halber nach ihrer Einberufung gleich regimenterweise nach Ostturkestan abkommandierte. 

Allerdings war diese Armee größtenteils mit deutschen Beutewaffen ausgestattet, um nicht allzu deutlich auf die sowjetische Hand im Hintergrund hinzuweisen. Deswegen besaßen die einfachen Soldaten deutsche Schmeisser-Maschinenpistolen der Typen 38 und 40, und die Offiziere trugen Walther- oder Parabellumpistolen. Hinzu kamen deutsche Maschinengewehre, Geschütze, Granatwerfer und Panzerabwehrwaffen aus sowjetischen Beutebeständen. Bis zum Jahr 1948 wuchs die Armee der „Republik Ostturkestan“ auf insgesamt 70.000 Mann an und bewachte unter anderem den durch Gulag-Häftlinge betriebenen Uranabbau im Interesse der Sowjetunion. Fachlich angeleitet wurde alles vor Ort von einem „Institut für Spezialmetalle“ des sowjetischen NKWD.

Weil die Sowjetunion aber ab Kriegsende 1945 direkten Zugriff auf die mitteleuropäischen Uranvorkommen im Erzgebirge und in Nordböhmen erhielt und Stalin ab dem Jahr 1948 enge Freundschaft zum chinesischen Kommunistenführer Mao Tse-tung verspürte, welcher mittlerweile die bürgerlichen Kuomintang im Bürgerkrieg besiegt hatte, verlor man sowjetischerseits urplötzlich alles Interesse am Quislingstaat in Ostturkestan. 

Führung Ostturkestans kam bei Flugzeugabsturz zu Tode  

Auf bewährte Stalinsche Art wurde nun schnell, wenngleich nicht schmerzlos, dieser Pseudostaat wieder liquidiert. Alle hohen politischen Führer der „Republik Ostturkestan“ wurden zu einem „Freundschaftsbesuch“ nach Peking eingeladen. An Bord einer sowjetischen Iljuschin 12 kamen sie am 12. September 1949 bei einem seltsamen Flugzeugabsturz über Sibirien zu Tode. Bereits am 17. Dezember 1949 wurde die so plötzlich politisch führungslos gewordene „Republik Ostturkestan“ wieder als „Sondergebiet Xinjiang“ an China angegliedert. 

Die Armee von Ostturkestan verleibte man als „5. Korps“ der „Chinesischen Volksbefreiungsarmee“ ein. Sukzessive wanderten jedoch ab diesem Zeitpunkt die als politisch wie national unzuverlässig betrachteten mittleren und höheren Offiziere des 5. Korps ins chinesische Gulag, falls es den Offizieren nicht gelang, über die nahe Grenze in die Sowjetunion zu flüchten. 

1953 floh schließlich der Ex-Vizepräsident der früheren „Republik Ostturkestan“ vor den Chinesen ins Exil, ein Uigure namens Isa Yusuf Alptekin, welcher als einziger hoher Uigurenführer seinerzeit nicht an Bord der verunglückten Iljuschin 12 gewesen war. Bis zu seinem Tod 1995 steuerte dieser Uigure aus der Türkei die uigurische Unabhängigkeitsbewegung. Stalins Sowjetunion kümmerte das Schicksal ihrer ostturkestanischen Quislinge wenig, war doch nunmehr die eigene Uranversorgung aus den reichhaltigen mitteleuropäischen Lagerstätten gesichert.

Foto: Chinesische Soldaten patrouillieren 2014 in der uigurischen Provinzhauptstadt Urumchi: Nach der Annäherung an Mao Tse-tung gab Stalin seine Pläne mit der „Republik Ostturkestan“ abrupt auf