© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
35 Quadratmeter Transparenz
Marcus Schmidt

Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist für Sigmar Gabriel ein Minenfeld. Als Bundeswirtschaftsminister muß er die Interessen der deutschen Unternehmen im Blick haben, die sich von dem geplanten Abkommen der EU mit den Vereinigten Staaten neue wirtschaftliche Impulse erhoffen. Als SPD-Chef wiederum muß er den verbreiteten Vorbehalten seiner Genossen gegen die Macht der Konzerne und den Einfluß der Vereinigten Staaten Rechnung tragen. Daß die seit 2013 laufenden Verhandlungen über TTIP unter strengster Geheimhaltung stattfinden, macht es nicht nur Gabriel  schwer, Vorbehalten entgegenzutreten. Was bereits verhandelt wurde, ist nur wenigen bekannt. Bislang hatten lediglich Vertreter der Bundesregierung die Möglichkeit, in Brüssel oder der amerikanischen Botschaft in Berlin TTIP-Dokumente in Augenschein zu nehmen.Die deutschen Volksvertreter dagegen tappten bis Anfang der Woche im dunkeln. Fragen aus ihren Wahlkreisen nach dem Stand der TTIP-Verhandlungen konnten sie bestenfalls nur aus zweiter Hand beantworten. 

Das dürfte sich nun ändern. Jedenfalls ein bißchen. Am Montag öffnete der TTIP-Leseraum des Bundestags seine Türen. Hier haben Bundestagsabgeordnete – sowie auch Vertreter der Landesregierungen – ab sofort die Möglichkeit, Einsicht in die „konsolidierten Verhandlungsdokumente“ des geplanten Freihandelsabkommens zu nehmen. Daß es überhaupt dazu gekommen ist, ist nicht selbstverständlich. Der Einrichtung des Leseraums ging ein zähes Ringen der Parlamentsverwaltung mit den zuständigen Stellen der Vereinigten Staaten und der EU voraus. Entsprechend streng sind die Auflagen. 

Wer den 35 Quadratmeter großen Raum mit der Nummer B 0.010. betreten möchte, um sich an einen der acht Computer-Arbeitsplätze zu begeben, darf keine Handys oder sonstige Aufnahmegeräte mitnehmen. Auch Stifte und Papier sind tabu – diese werden am Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Sicher ist sicher. Es versteht sich angesichts dieser Auflagen fast schon von selbst, daß die Abgeordneten bei ihrer Lektüre am Bildschirm zu keinem Zeitpunkt unbeobachtet sein werden. Die Informationen, die sie dabei gewinnen, müssen sie zudem vertraulich behandeln. Die Begeisterung über den Leseraum hält sich im Reichstag denn auch in Grenzen. Es bleibe nun abzuwarten, ob die technischen und zeitlichen Möglichkeiten zum Studium der Dokumente dem Informationsbedürfnis und den Informationsrechten der Abgeordneten des Bundestages genügten, gab Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) anläßlich der Eröffnung schmallippig zu Protokoll.

Der Raum B 0.010. befindet sich übrigens nicht im Reichstag oder einem der Verwaltungsgebäude des Bundestages. Das sei nach Angaben von Gabriel nicht durchzusetzen gewesen. Abgeordnete, die sich über den Stand der TTIP-Verhandlungen informieren wollen, müssen sich daher auf den Weg ins Bundeswirtschaftsministerium machen. Dort wurde im Erdgeschoß der Leseraum eingerichtet.