© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Kalkulierte Provokationen
Spanien: Auch Wochen nach der Wahl findet sich keine Regierung
Michael Ludwig

Spanien droht nach links abzudriften. Der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnte den Auftrag von König Felipe VI. ab, eine Regierung zu bilden. Obwohl Rajoy mit seiner konservativen Volkspartei (PP) bei den landesweiten Wahlen am 20. Dezember die meisten Stimmen erringen konnte, fehlt ihm im Parlament die absolute Mehrheit, so daß er keine Chance sieht, erneut zum Regierungschef gewählt zu werden. 

Der 60jährige Galizier, der bei vielen Spaniern als dröge gilt, wird jedoch immer wieder unterschätzt. Möglicherweise auch diesmal. Falls es dem Linksblock nicht gelingen sollte, eine tragfähige Mehrheit in der Cortes zu schmieden, könnte er abermals versuchen, das Blatt zu wenden. Oder aber es kommt zu Neuwahlen. Vor diesem Hintergrund ist der Satz Rajoys zu verstehen, den er seiner Erklärung, sich vorerst nicht zur Wahl zu stellen, angehängt hat: „Ich verzichte auf gar nichts. Ich bleibe Kandidat auf die Präsidentschaft der Regierung. Nur habe ich noch nicht die nötige Unterstützung.“

Sozialisten finden keine einheitliche Linie 

Trotz vieler Anstrengungen ist es dem amtierenden Regierungschef nicht gelungen, die Sozialisten unter Pedro Sánchez (PSOE) und die Ciudadanos unter Albert Rivera in ein gemeinsames Boot zu holen. Seiner Ansicht nach wäre dies eine „große Koalition der Vernünftigen“. Diese Parteien haben in der Tat eine breite gemeinsame Basis, wenn es um die wichtigsten politischen Fragen des Landes geht – in der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es wenig substantielle Unterschiede, die drei sind sich außerdem darüber einig, daß Spanien als Ganzes erhalten bleiben müsse, eine Abspaltung Kataloniens oder des Baskenlandes nicht hingenommen werden dürfe. Rajoys PP wäre den Sozialisten bei einer Abfederung der Sparauflagen entgegengekommen und den bürgerlichen Ciudadanos bei ihrem Wunsch, veraltete Strukturen zu modernisieren. Aber ein positives Echo kam nicht zustande.

Pedro Sánchez versucht indessen, eine linke Mehrheit zu organisieren. Als natürlicher Partner bietet sich die linksradikale Podemos-Bewegung an, die im Parteienspektrum kurz hinter der PSOE auf Platz drei rangiert. Der 43jährige Sozialistenchef scheint sich bereits weitgehend festgelegt zu haben: „Die Wähler von PSOE und Podemos würden es nicht verstehen, wenn wir uns nicht verständigen könnten.“ Diese Offerte an den politischen Konkurrenten kommt aber nicht überall in der PSOE gut an. Denn viele Parteimitglieder und Wähler kritisieren den Kurs von Podemos hinsichtlich der Einheit des Landes als völlig indiskutabel. Podemos sprach sich dafür aus, den Katalanen einen eigenen Staat zu gestatten, wenn sie dies mehrheitlich wollen. Nun sollen die 190.000 PSOE-Mitglieder in einer Urabstimmung darüber befragt werden, ob sie eine Koalition mit der linken Antisystempartei wollen.

Überhaupt ist Pablo Iglesias, der Mann mit dem Pferdeschwanz und Chef von Podemos, immer für eine Überraschung gut. So auch kürzlich, als er bei einem Treffen mit König Felipe erklärte, zusammen mit der PSOE und der kommunistischen Vereinigten Linken ein Regierungsbündnis eingehen zu wollen, bei dem er das Amt des Vizepräsidenten beanspruche. 

Dieser Vorstoß löste bei den Sozialisten Empörung aus. Die Madrider Tageszeitung El Mundo zitierte Funktionäre, die das Angebot eine „Erpressung“ und eine „kalkulierte Provokation“ nannten. Sollten sich die Sozialisten, Podemos und die Vereinigte Linke dennoch zusammenraufen, fehlen ihnen immer noch mehrere Parlamentssitze, um die absolute Mehrheit zu erreichen. Sie müßten mit Unabhängigkeitsbefürwortern aus dem Baskenland und Katalonien paktieren; für das bürgerliche Lager ist das die reinste Horrorvorstellung. 

Linksextreme Podemos will Eu-weiten Schulterschluß

Die Entscheidung darüber, welche Regierung künftig Spanien führen wird, ist auch für das übrige Europa von Bedeutung. Sollte der Weg nach links führen, könnte dem zarten Pflänzchen namens wirtschaftlicher Aufschwung schon sehr bald die Kraft verlassen, denn eine Regierung unter Einschluß von Podemos würde alles daransetzen, die von Rajoy durchgesetzten Sparmaßnahmen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die vor allem den mittelständischen Betrieben zugute kommt, abzuschaffen. Als Folge würde die Eurokrise an Brisanz zulegen, diesmal mit einer besonderen Heftigkeit, handelt es sich bei Spanien doch um die viertgrößte Wirtschaftsnation in der gemeinsamen Währungszone.

Podemos macht aus seinen Überzeugungen keinen Hehl und organisiert  mit den Gesinnungsgenossen von der griechischen Syriza und dem portugiesischen Linksblock, der in Lissabon bereits das politische Sagen hat, eine „europäische Konferenz“, die im Februar in Madrid stattfinden soll. Ziel ist es, ein europaweites „Anti-Austeritäts-Netz“ zu knüpfen.