© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Er konstatierte die „Revolution der farbigen Welt“
Wiedergelesen: Oswald Spenglers Schrift „Jahre der Entscheidung“ erörtert die Folgen des afrikanischen Bevölkerungsüberschusses
Felix Dirsch

Weniger rezipiert im Vergleich zu Oswald Spenglers Bestseller „Untergang des Abendlandes“, der die Signatur des Zeitgeistes der 1920er Jahre prägte, ist sein Spätwerk „Jahre der Entscheidung“. 1933 auf den Markt gekommen, geht es auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten nur am Rande ein und übt versteckte Kritik an der NSDAP. Spengler legte stärkeren Nachdruck auf langfristig relevante Faktoren der Weltpolitik.

Natürlich bleibt es nicht aus, daß bei einer Untersuchung, die vor über acht Jahrzehnten veröffentlicht wurde, manches zurechtzurücken ist. Die Bedeutung des Faktors „Rasse“ muß nach 1945 angesichts der Folgen schlimmen Mißbrauches zweifellos kritischer beäugt werden, was nicht heißen soll, ins andere Extrem zu verfallen und biologische Konstanten vollständig unberücksichtigt zu lassen. Interessant sind nicht zuletzt Spenglers Überlegungen zum Staatsverfall. Seiner Ansicht nach ist dieser in erster Linie auf den Vorrang der Wirtschaft vor der Politik zurückzuführen.

Früh analysierte Spengler die Revolution der „‘farbigen‘ Welt“. Diese umfaßte einen Großteil außereuropäischer Völker, darunter diejenigen Afrikas, aber auch China, Indien und Japan, das Rußland besiegte und somit an einem Nimbus kratzte. Das in Europa verbreitete Dogma von der Überlegenheit der Kolonialmächte wurde schon im 19. Jahrhundert erschüttert, beherrschte aber noch in der ersten Hälfte des folgenden Zentenniums weithin das Denken der sich gerne als „Herrenvölker“ Dünkenden.

Zu den hellsichtigen Prophezeiungen gehörte die von der Dekadenz der „weißen Herrenvölker“. Heute spricht man in veränderter Terminologie vom Abstieg des Westens. Eine stattliche Zahl von Gegenwartsautoren, darunter bekanntere wie Niall Ferguson sowie Fareed Zakaria, untersucht diesen Trend und unterfüttert ihn mit empirischen Daten. In „Jahre der Entscheidung“ lautet das Szenario wie folgt: „Die weißen Herrenvölker sind von ihrem einstigen Rang abgestiegen. Sie verhandeln heute, wo sie gestern befahlen, und werden morgen schmeicheln müssen, um verhandeln zu dürfen.“

Spengler, der den Primat der Politik hervorhob, stellte sich gleichwohl auf die Hegemonie der immer stärker globalisierten Wirtschaft ein. Er sah seitens der Vertreter der „farbigen Wirtschaft“ die „Waffe niedriger Löhne“ eingesetzt. Diese Repräsentanten seien stimuliert worden durch liberale Wirtschaftstheoretiker wie John S. Mill.

In Europa bemerkte er die Tendenz einer Überalterung

Das unterschiedliche generative Verhalten zwischen weißen und farbigen Völkern wird bei Spengler ebenfalls kommentiert. Er bemerkte den Grundzug bei den „zivilisierteren“ Völkern, Unfruchtbarkeit und Verhütung von Geburten als Fortschritt zu feiern – eine Linie, die bereits Thomas Malthus vorgegeben hatte. Auf Kinderlosigkeit zielte zudem die verbreitete Frauenemanzipation ab. Spengler verwies auf Parallelen zum großstädtischen Leben, dessen Ausbreitung für ihn eine Phase der Zivilisation – also des Niedergangs – darstellte. „Starke Rassen“ seien jedoch auf Bevölkerungswachstum angewiesen.

Auch der Zusammenhang der Bevölkerungsexplosion in Afrika als Folge der Anwendung „weißer“ Medizin wird in seinem Spätwerk thematisiert. Ein Land wie Frankreich hingegen mußte schon am Ende des 19. Jahrhunderts einen Verlust an Population verkraften. Als Darwinist betrachtete es Spengler mit Argwohn, daß die verbesserte Medizin oft den Schwächeren die Möglichkeit gebe, zu überleben und sich fortzupflanzen. In Europa bemerkte er die Tendenz einer Überalterung, wofür ebenfalls die Medizin verantwortlich sei.

Aus heutiger Sicht muß das Problem des arabischen wie afrikanischen „youth bulge“ sicher anders diskutiert werden, auch begrifflich. Die angedeutete Richtung jedoch stimmt. Der afrikanische Bevölkerungsüberschuß wird gegenwärtig mit rund 30 Millionen pro Jahr angegeben. Freilich stellte sich damals noch nicht das Problem der massenhaften Aus- beziehungsweise Einwanderung. In seinem Traktat „Irrweg Einwanderung“ von 2007 überschreibt der frühere US-Präsidentschaftskandidat und heutige Buchautor Patrick J. Buchanan ein Kapitel mit den Worten „Wie Zivilisationen zugrunde gehen“. Mehr noch als die von ihm darin angeführten Geschichtsinterpretationen von Spenglers „Untergang“ bis zu Willi und Ariel Durants kulturhistorischen Ausführungen kann Buchanan Fakten jenseits philosophischer Spekulationen liefern. Heftig klagt der frühere Politiker den „Schuldkomplex“ an, der „auf dem abendländischen Menschen“ laste. Er richtet den Blick auf das Jahr 2050 und ruft Spenglers Ausspruch „Optimismus ist Feigheit“ in Erinnerung. Buchanans eindringlicher Appell lautet, der Migranten-„Invasion“ Einhalt zu gebieten und das Steuer herumzureißen.

In Deutschland sind die Spenglerschen Überlegungen selbstredend tabuisiert. Weltpolitisch gesehen ist diese Realitätsverweigerung indessen marginal. 2008 veröffentlichte der „letzte Welterklärer“ (O-Ton Der Spiegel) Peter Scholl-Latour ein Buch mit dem Titel „Die Angst des weißen Mannes“, das den globalen Umbruch belegt. Äußerer Anlaß war die Wahl eines Afroamerikaners mit islamischen Wurzeln zum Präsidenten der USA. In einem Interview anläßlich des Erscheinens dieser Schrift äußerte sich der Verfasser politisch unkorrekt, wenn er diktierte, die USA seien einer „zunehmenden Rassenvermischung ausgesetzt, wobei die Latinos, meist Mestizen von Spaniern und Indianern, den Ausschlag geben dürften“. Infolge der Krise der weißen angelsächsischen Mittelschicht, der traditionellen Elite, dürften sich auch die Vereinigten Staaten unverkennbar wandeln. In Zukunft wird man häufiger die Frage „Who are we?“ stellen. Die Debatten über die Identität, die immer auch ethnische Aspekte einschließen, werden in der westlichen Welt zukünftig stärker auf der Tagesordnung stehen, wie ein kluger Beobachter des Zeitgeschehens, Samuel P. Huntington, bereits vor über einem Jahrzehnt herausgestellt hat.

Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung. Ares Verlag, Graz 2007, gebunden, 184 Seiten, 19,90 Euro