© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Sind wir wieder zu neunt?
Eine Forschergruppe aus Kalifornien vermutet die Existenz eines neunten Planeten
Tobias Albert

Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten“. Nachdem Pluto 2006 zu einem Zwergplaneten herabgestuft wurde, könnte diese Eselsbrücke nun wieder benutzt werden. Denn zwei US-Astronomen behaupten, es gebe einen neuen neunten Planeten.

Bis vor wenigen Tagen war Neptun der äußerste bekannte Planet unseres Sonnensystems. Hinter ihm erstreckt sich der Kuipergürtel. Dieser Ring aus Gesteinsbrocken stammt noch aus der Anfangszeit des Sonnensystems und ist vergleichbar mit dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, wenn auch deutlich größer. Sechs dieser Objekte gaben den Forschern Rätsel auf: Ihre Bahnkurven verhielten sich nicht so, wie es die Berechnungen vorhersagen, sondern sie wiesen alle ähnliche Ablenkungen auf.

Die Astronomen Konstantin Batygin und Michael E. Brown veröffentlichten am 20. Januar im Astronomical Journal ihre Theorie, daß hinter Neptun ein massereiches Objekt steht, dessen Anziehungskraft die Gesteinsbrocken ablenkt – also ein neunter Planet. Als andere Wissenschaftler schon zuvor über diese Möglichkeit spekulierten, hielten Brown und Batygin das noch für Unsinn: „Damals war unser Ziel, zu zeigen, daß diese Theorie verrückt ist“, verriet Brown dem Nature-Magazin über den Beginn ihrer Forschungsarbeit. Aber das Duo von der Technischen Hochschule Kalifornien (California Institute of Technology/Pasadena) mußte sich eingestehen, daß ihre Messungen auf die Existenz eines neuen Planeten hindeuteten: In über 100.000 Beobachtungen wählten sie je sechs Objekte des Kuipergürtels zufällig aus und verglichen ihre Bahnkurven mit den Berechnungen. Aus diesen Meßdaten schlossen sie, daß die beobachtete Anomalie nur zu einer Wahrscheinlichkeit von 0,007 Prozent auftreten könnte. Zu gering, um dies einfach auf den Zufall zu schieben. Also suchten sie nach einer anderen Erklärung.

Die Eigengravitation, also die Kraft, mit der sich die vielen Gesteinsbrocken im Kuipergürtel mit ihrer Masse gegenseitig anziehen, konnte es nicht sein. Alle Objekte des Kuipergürtels zusammen besitzen zwar ein Zehntel der Erdmasse, also etwa 600 Trillionen Tonnen. Verteilt auf einer Fläche von 100 Trillionen Quadratkilometern ergibt das aber sechs Gramm Masse pro Quadratmeter – zuwenig, um den beobachteten Effekt zu verursachen. Etwas außerhalb des Kuipergürtels mußte also die Lösung sein: ein neunter Planet.

Der Neue ist ein Eisriese wie Uranus und Neptun

Auf seiner Ellipsenbahn hat „Planet Nine“ einen mindestens zweihundertmal weiteren Abstand zur Sonne als die Erde und soll die zehnfache Erdenmasse besitzen. „Also wiegt er etwa fünftausendmal soviel wie Pluto“, erläutert Brown, der 2006 noch maßgeblich daran beteiligt war, Pluto seinen Planetenstatus abzuerkennen. Genauso wie Uranus und Neptun ist er ein „Eisriese“, also ein aus Gas bestehender Planet, der anders als die Gasriesen Jupiter und Saturn einen relativ großen, festen Kern besitzt. Nur unter all diesen Annahmen ergaben die Meßergebnisse wieder Sinn. Diese Schlußfolgerung wird vom Nizza-Projekt aus dem Jahr 2005 gestützt, bei dem Wissenschaftler die Entstehungsphase des Sonnensystems modellierten. Sie kamen zu dem Schluß, daß es möglich sei, daß einst ein dritter Eisriese existierte, der durch die Wechselwirkung der Gravitationskräfte abgedrängt wurde. „Unser Störenfried“, wie die Forscher den neuen Planeten nennen, „driftete wohl vor Milliarden Jahren an den Rand des Sonnensystems ab.“

Solange „Planet Nine“ noch nicht gesichtet wurde, gibt es natürlich Zweifler in der Forschergemeinde. „Ich habe schon viele solcher Behauptungen in meiner Karriere miterlebt“, resümiert der Planetarforscher Hal Levison vom Southwest Research Institute, „und sie alle waren falsch.“ Bereits 1930 postulierten Astronomen, daß es hinter Pluto einen weiteren Planeten geben müsse, da die Bahn des Neptun sonst unerklärliche Anomalien aufweisen würde. Die jahrelange Suche blieb jedoch erfolglos, so daß die späteren Wissenschaftler von Ungenauigkeiten der damaligen Meßinstrumente ausgingen.

Die heutige Präzisionstechnik liefert jedoch weniger zweifelhafte Indizien für „Planet Nine“. Und auch Neptun wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erst entdeckt, nachdem unerwartete Bewegungen des Uranus auf seine Existenz schließen ließen. „Die Geschichte könnte sich wiederholen“, hofft Batygin. Brown zufolge werde man spätestens mit dem 2022 fertiggestellten LSST-Teleskop in Chile eine hohe Chance haben, den neunten Planeten zu sehen und damit seine Existenz endgültig zu beweisen.





Was ist ein Planet?

Lange gab es keine offizielle Definition eines Planeten: Alle großen Objekte, die einen Stern umkreisen, wurden als Planeten bezeichnet. Erst 2006 verabschiedete die Internationale Astronomische Union (IAU), eine nicht-staatliche Organisation mit Sitz in Paris, die Definition, ein Planet müsse a) einen Stern umrunden, b) annähernd kugelförmig sein und c) seine Umlaufbahn dominieren, also deutlich schwerer als alle anderen Objekte in seiner Umlaufbahn sein. Letzteres wurde Pluto zum Verhängnis, da alle Asteroiden in seinem Orbit zusammenaddiert deutlich schwerer sind als er selbst. Daher zählt Pluto nun zu den Zwergplaneten unseres Sonnensystems.

Foto: In Brudersphären Wettgesang: Es soll noch ein massereiches Objekt geben, ganz am Rande unseres Sonnensystems. Die Darstellung der Technischen Hochschule Kaliforniens zeigt den gedachten Blick auf „Planet neun“, zurück in Richtung Sonne.