© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Im Nebel verschwunden
Linksextremismus: Der Überfall dreier RAF-Terroristen auf einen Geldtransporter wirft die Frage nach der „dritten Generation“ wieder auf
Christian Schreiber

So unvermittelt wie sie Ende Januar aus dem Nebel der Geschichte aufgetaucht sind, verschwanden sie auch wieder. Auch gut drei Wochen nach der Meldung, für einen gescheiterten Überfall auf einen Geldtransporter bei Bremen seien vermutlich drei Terroristen der linksextremistischen Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ (RAF) verantwortlich, fehlt von den Gesuchten, bis auf die am Tatort zurückgelassene DNS-Spur, jeder Hinweis. 

Zurückgelassen haben die drei auch eine alte Frage: Was wurde aus der dritten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF), die sich 1998 auflöste? Als Geburtsurkunde gilt ihr Mai-Manifest aus dem Jahr 1982. Damals verkündeten die Linksextremisten eine Strategieänderung. Nicht mehr die Befreiung von inhaftierten Gesinnungsgenossen, sondern Anschläge auf Personen und Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Über die personelle Zusammensetzung dieser dritten Generation wissen die Ermittlungsbehörden bis heute kaum etwas. Rund 20 Aktive soll es gegeben haben, zudem 250 Unterstützer. 

Doch die Morde an Siemens-Chef Karl Heinz Beckurts, dem Deutsche-Bank-Vorstand Alfred Herrhausen oder auch dem Treuhand-Leiter Detlev Karsten Rohwedder blieben bis heute unaufgeklärt. Bei einem mißglückten Antiterroreinsatz im Sommer 1993 im hessischen Bad Kleinen wurde der mutmaßliche RAF-Terrorist Wolfgang Grams erschossen, seine Lebensgefährtin Birgit Hogefeld festgenommen. Beide gelten als Anführer der dritten Generation, bewiesen ist dies freilich nicht, auch weil Hogefeld bis heute schweigt. Neben Hogefeld und Grams gilt Eva Haule, die 2007 aus dem Gefängnis entlassen wurde,  als Schlüsselfigur, ebenso Horst-Ludwig Meyer, der 1999 bei einer Polizeikontrolle in Wien erschossen wurde.

Verfassungsschützer gehen davon aus, daß sich die Terroristen von einst in ein Leben der Halblegalität geflüchtet haben. Möglicherweise leben sie mit falschen Pässen in der Bundesrepublik. Doch wie bestreiten sie ihren Lebensunterhalt?  Am 30. Juli 1999 wurde ein Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen überfallen. Die Täter benutzen zwei Fahrzeuge und Schnellfeuergewehre – und erbeuten etwa eine Million Mark. Am Tatort werden DNS-Spuren sichergestellt und können Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg zugeordnet werden. Alle drei stehen seit Jahren auf der Fahndungsliste, sie gelten als Verantwortliche der letzten RAF-Aktion aus dem Jahr 1993, als das Gefängnis im hessischen Weiterstadt in die Luft gesprengt wurde und ein Sachschaden von 123 Millionen Mark entstand. 

„Ein ganz, ganz großes Rätsel“ 

Befürchtungen, der Überfall auf den Geltransporter 1999 könnte der Auftakt zu einer neuen Terrorwelle sein, traten nicht ein. Ermittler gingen eher davon aus, daß das Geld der Sicherung des Lebensunterhalts dienen sollte. Und es wurde tatsächlich ruhig um das vermeintliche RAF-Trio. Bis die Polizei Ende Januar mit der Information an die Öffentlichkeit ging, daß an einem versuchten Überfall am 28. Dezember 2015 auf einen Geldtransporter im Wolfsburger Ortsteil Nordsteimke die mutmaßlichen Ex-RAF-Mitglieder Klette (57), Staub (61) und  Garweg (47) beteiligt waren. Ein ähnlicher Überfall fand bereits im Juni vergangenen Jahres in Bremen statt. Auch damals gingen die Täter leer aus. In Wolfsburg fanden die Ermittler nun DNS-Material, das auf die drei Gesuchten hindeuten könnte. Einer der Täter habe zudem keine Maske getragen, berichtete Polizeihauptkommissar Jürgen Hage von der Kripo Diepholz in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“.

Unklar bleibt, welchen Zweck die gescheiterten Überfälle haben könnten. Ging es abermals um Geldbeschaffung oder wollte sich da eine „vierte Generation“ die Kriegskasse füllen? „Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund der Tat vom 6. Juni 2015 gibt es bislang nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Tat allein der Finanzierung des Lebens im Untergrund dienen sollte“, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft mit. Auch der RAF-Experte Butz Peters sieht keinen Anlaß, eine Rückkehr des linken Terrors zu fürchten: „Alles deutet darauf hin, daß es sich um eine Art Altersvorsorge für mindestens drei ehemalige RAF-Mitglieder handelt. Wer viele Jahre im Untergrund gelebt hat, der kann halt in keine Rentenversicherung einzahlen oder sich Ähnliches aufbauen“, sagte Peters der Allgemeinen Zeitung in Mainz. Der Rechtsanwalt und Buchautor gilt als Kenner der RAF-Geschichte. Doch das Wirken und Leben der dritten Generation ist auch für ihn „ein ganz, ganz großes Rätsel. Von ihnen hat man ja praktisch überhaupt nichts gefunden. Keine konspirative Wohnung, ganz, ganz wenige Autos nur. Man weiß nicht, wie diese dritte Generation gelebt hat.“

Diese Ermittlungslücken sind vor allem für die Angehörigen der damaligen Opfer äußerst unbefriedigend. Patrick von Braunmühl, Sohn des von der RAF 1986 in Bonn ermordeten Diplomaten Gerold von Braunmühl, erhofft sich nun neue Erkenntnisse: „Wir wissen bis heute nicht, warum ausgerechnet mein Vater sterben mußte. Und wir wissen nicht, wer seine Mörder waren. Das bisherige Ermittlungsergebnis ist ein Armutszeugnis.“ Dennoch glaubt auch er nicht an eine Rückkehr der RAF. „Dieses Kapitel dürfte abgeschlossen sein. Bei diesen Überfallen geht es nur um Geld.“