© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

„Guten Tag, ich möchte Asyl!“
Verdeckter Einsatz: Wie sich ein JF-Reporter unter falscher Identität in Berliner Flüchtlingsheimen registrieren ließ – und was er dort erlebte
Shams ul-Haq

Für Journalisten ist es fast unmöglich geworden, jenseits offizieller – und gestellter – Pressetermine aus dem Inneren einer Asylunterkunft zu berichten. Wer weder als Flüchtling noch als professioneller oder ehrenamtlicher Helfer registriert ist, bekommt in aller Regel keinen Zutritt. Andererseits ist es für eine authentische Berichterstattung über die Verhältnisse in solchen Einrichtungen unabdingbar, sich ein eigenes Bild davon zu machen. Deswegen ist es erfreulich, daß die junge freiheit den Journalisten Shams Ul-Haq für eine Reportage aus Asylunterkünften in Berlin gewinnen konnte. Der gebürtige Pakistaner hat sich für seine Recherchen als Asylbewerber ausgegeben. Hier der erste Teil seines Berichts:

In Berlin angekommen, hinterlege ich zunächst meine Papiere samt Presseausweis bei einem Freund. Anschließend fahre ich zum berühmt-berüchtigten Lageso, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, im Stadtteil Moabit: „I want asylum“, lautet mein ‘Sesam, öffne dich!’ Ein freundlicher Mann führt mich in ein Zelt. 

Mit mir beantragen ein Libyer und ein Syrer Asyl. Wir bekommen ein silbernes Band ans linke Handgelenk, darauf eine mit Scancode versehene Nummer. Ich hatte Name, Adresse und Geburtsdatum angegeben, natürlich eine falsche Identität. Ob wir Dokumente hätten, wollen die Mitarbeiter wissen. Wir drei verneinen und erhalten einen Plan mit der Adresse einer Turnhalle in der Malmöer Straße im Stadtteil Prenzlauer Berg. Mit dem Armband können wir das Netz der Berliner Verkehrsbetriebe kostenlos nutzen. 

Der Syrer spricht nur Arabisch, was ich durch den Koranunterricht in der Kindheit relativ gut beherrsche. Seinen Dialekt allerdings kann ich nicht verstehen. Der Libyer parliert fließend Englisch. Wir tauschen uns oberflächlich aus, wie und warum wir nach Europa gekommen sind. Gegen 19 Uhr erreichen wir die Turnhalle. Wiederum lassen uns ausgesprochen freundliche Sicherheitsleute hinein. Wir legen einen Zettel vor, laut dem wir drei aufzunehmen sind, unterschrieben von einem Lageso-Mitarbeiter. Wir warten, bis uns ein Sozialarbeiter in Empfang nimmt. In der Turnhalle registriert man uns wieder. Ich unterschreibe mit „Wakar Ahmad“.

Die beiden anderen haben großen Hunger. Der nette Sozialarbeiter fragt in der Küche nach, und dort geben sie uns Brot samt Belag. Ein guter Start.

In der Turnhalle erhalten wir frisches Bettzeug. Der Libyer erzählt, er lebe schon drei Jahre in Deutschland und beherrsche die Sprache. Auf keinen Fall wolle er nach Libyen zurück. In Düsseldorf hatte er studiert, für sechs Semester ein Visum erhalten. Seinen Reisepaß hat er jetzt weggeworfen und unter falschem Namen einen Asylantrag gestellt. Ansonsten hätte er Deutschland verlassen müssen. 

Offensichtlich werden      syrische Familien bevorzugt

Der Syrer war anscheinend aus Frankreich gekommen. Später bekomme ich mit, daß er gut Französisch spricht. Der Libyer dolmetscht zwischen uns. Auf meine Frage, warum er nicht in Frankreich Asyl beantrage, antwortet er, ihm sei von Verwandten gesagt worden, er solle nach Berlin gehen. Das Verhalten des Syrers erscheint mir suspekt. Mein Bauchgefühl sagt mir, er könnte einer islamistischen Gruppierung angehören. 

Egal wer, egal unter welchen Namen, das Lageso nimmt generell jeden auf, ohne sich die Leute genauer anzuschauen. Daß der Libyer in Deutschland unbedingt bleiben will, verstehe ich nicht. Offensichtlich handelt es sich um einen Sohn aus wohlhabendem Hause, ausgestattet mit nobler Uhr und teurem Handy.

Einem Sicherheitsmann hatte ich beim ersten Kontakt gesagt, ich hätte in Tempelhof Familie und wolle deshalb dorthin. Am nächsten Tag werde sich das klären, erfahre ich. Ich solle im Büro vorsprechen. Morgens frühstücke ich in der Turnhalle. 

In Berlin ist es nicht erlaubt, sich in zwei Erstaufnahmelagern anzumelden. Sicherheitsleute und Sozialarbeiter geben mir aber hinter vorgehaltener Hand Tips, wie ich mich in Tempelhof einschleusen könne. Anschließend fahre ich dorthin. In der U-Bahn werde ich kontrolliert. Das silberne Band funktioniert. In der Sporthalle hatte ich zusätzlich ein rotes Band mit der Bettnummer 96 erhalten. 

Mittags komme ich in Tempelhof an. Für die Sicherheitsleute habe ich die Legende gestrickt, ich sei an der Malmöer Straße erfaßt, leide aber gerade unter starken Rückenschmerzen. Ich könne mich kaum bewegen und müsse sofort zum Arzt. Mit anderen Flüchtlingen wartet ich dort in einem ehemaligen Flugzeughangar auf meine Behandlung. In jedem Hangar stehen zehn  Quadratmeter große Containerboxen, jede mit zwölf hölzernen Etagenbetten ausgestattet, jeweils abgetrennt durch einen schwarzen Vorhang.

Die medizinische Einrichtung ist gut ausgestattet, mit genügend Arzthelfern und Übersetzern, besser als in jedem Heim, das ich bis dahin kennengelernt habe. Einem Sozialarbeiter schildere ich meine vermeintlichen Rückenschmerzen. Außerdem erwähne ich meine angebliche Familie, um in Tempelhof bleiben zu können.

Ich gebe wieder meine vollständigen Personalien an. Syrische Männer und Familien kommen offensichtlich eher dran als ich, der Pakistani. Am Ende warte ich als einziger. Die Ärzte sprechen über einen Iraker mit ansteckender Krankheit. Das Gesundheitsamt hatte Alarm geschlagen. Ein Angestellter der Tamaja GmbH, der Trägerin des Heims, kommt vorbei. Der Übersetzer sagt dem kranken Iraker, er werde ins Krankenhaus gebracht.

Dann erlausche ich, die Tamaja GmbH habe Schwierigkeiten mit der Landesregierung. Berlin möchte der Betreiberfirma keine Flüchtlinge mehr nach Tempelhof schicken. Dort sei zu viel Mist gebaut worden. Niemand ahnt, daß ich alles verstehe.

Nach vier Stunden Wartezeit kommt der Sozialarbeiter. Er werde versuchen, mich in Tempelhof aufnehmen zu lassen. Ich kann schließlich bleiben, solle aber am nächsten Tag beim Lageso vorsprechen und eine Bestätigung zur Kostenübernahme mitbringen. Man gibt mir einen Ausweis mit Bild, mit dem ich ein und aus gehen kann.

Die Klos stinken                wie ein Schweinestall

Ein Sicherheitsmann, selbst mit Migrationshintergrund, spricht mich an. Pakistaner hätten kein Recht, in Deutschland Asyl zu beantragen, die würden schnellstmöglich abgeschoben. Doch solange der Asylantrag nicht abschließend verhandelt ist, kann niemand beurteilen, ob jemand asylberechtigt ist oder nicht. Ich werde im Hangar 3 untergebracht, einer von sieben ehemaligen Flugzeughallen. 

Es braucht immer ein paar Tage, sich einzugewöhnen. Die Sicherheitsleute hier lassen ihren Aggressionen freien Lauf. Auch Kinder werden angebrüllt wie auf dem Kasernenhof. Der Ton an der Malmöer Straße ist wesentlich angenehmer.  

Ich kann zwischen der dortigen Sporthalle und Tempelhof pendeln. Normalerweise ist das unmöglich. Es ist auch verboten, nach 22 Uhr draußen zu bleiben. Mit von Aufmerksamkeiten flankierten Kontakten zu den Wachleuten und Sozialarbeitern läßt sich das umgehen. Im Falle einer Kontrolle wäre ich angerufen worden. 

Krawalle und Schlägereien nicht unterschätzen

Die sanitären Bedingungen in Tempelhof sind die schlimmsten, die ich bisher in einem Flüchtlingsheim erlebt habe. Die Dixi-Klos stinken wie ein Schweinestall. Wir Männer werden mit einem 9-Sitzer-Bus zu den Duschen gefahren. Vor Ort gibt es nur Waschbassins aus Plastik. Ein anderer Hangar ist gut ausgestattet, darf aber nicht genutzt werden. Das Mittagessen geht einigermaßen. Abendessen und Frühstück schmecken widerlich. Ein Garant für miserable Stimmung. 

In Tempelhof lerne ich einen älteren Mann kennen, einen Hochschullehrer aus Syrien, der bereits mehrere Monate im Lager lebt. Er kenne es wie seine „eigene Westentasche“. Ich frage ihn, ob hier islamistische Gruppen aktiv seien. Er erzählt, Anhänger des IS und von Gruppierungen wie Dschabhat al-Nusra seien auch in anderen Berliner Unterkünften präsent. Mit ihm seien damals auch IS-Kämpfer geflohen. Auch die seien in Deutschland gelandet und hätten sich den Bart abrasiert. Sicher gebe es unter ihnen Schläfer, die auf ein Zeichen ihrer Gruppenführer reagierten. Er rät mir, bestimmte Containerboxen zu besuchen. 

Vor dem Lageso treffe ich einen syrischen Rollstuhlfahrer mit seinem Kumpel. Stundenlang hatten die beiden in eisiger Kälte gewartet. Ich lade sie zum Essen ein. Der Rollstuhlfahrer erzählt, woher seine Querschnittlähmung rühre. Er sei vom Assad-Regime in den Rücken geschossen worden. Das lasse ich mir von seinem Kumpel ins Englische übersetzen. Daß ich Arabisch verstehe, habe ich für mich behalten. Der Kumpel rüffelt seinen Freund: „Sag doch, daß es IS-Leute waren.“ Das will er nicht, offensichtlich aus Angst. Er meint an anderer Stelle, viele islamistische Kämpfer seien aus Syrien nach Deutschland gekommen. Demnächst passiere hier sicher ein Anschlag, weil Deutschland sich jetzt militärisch in Syrien einmische. Außer dem IS existierten  weitere Gruppierungen, deren Vertreter mit dem nächsten Schwung nach Deutschland kämen. 

Später gehe ich in die Containerboxen, von denen mir der Hochschullehrer erzählt hatte. Ich gebe mich ahnungslos, stelle mich als Neuankömmling vor und bitte um Tips für den Asylantrag. Die Leute sind hilfsbereit. Nach ein paar Tagen beginne ich in ihrer Gegenwart, über die ungläubigen Deutschen zu lamentieren, worauf sie nach und nach anspringen. Manche zeigen mir auf ihren Smartphones Propagandavideos, die zum Heiligen Krieg aufrufen. Irgendwann sprechen mich welche an, ohne jedoch vom IS zu reden. Als Moslem sei es doch meine Pflicht, für die kämpfenden Brüder in Syrien etwas zu tun, zumindest Geld zu spenden. 

Soziokulturell stammen die jungen Männer aus dem arabischen Prekariat. Letztlich verhalten sie sich nicht viel anders als ihre deutschen Altersgenossen. Ihnen schmeckt der Schnaps und der Joint. Ich unterlasse es, sie auf den Widerspruch zur eigenen Glaubenslehre hinzuweisen. In Tempelhof höre ich dieselben Verschwörungstheorien wie in anderen Unterkünften. Die Versorgung sei so schlecht, weil Deutschland Uno-Gelder zurückhalte. Ein Unsinn, der leicht bei Menschen verfängt, die nichts zu tun haben. 

Im vergangenen Jahr zog es über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland. Die Gesellschaft sollte sich zumindest um jene intensiv kümmern, die sie behalten will. Die Lager, voll mit jungen Männern, die sich langweilen, dienen als ideales Rekrutierungsfeld für Islamisten und salafistische Wahrheitspächter, denen die Frustrierten leicht auf den Leim gehen. 

Längst zündeln die Fanatiker in den Heimen, etwa über soziale Netzwerke oder WhatsApp. Ihr Mantra lautet, die Deutschen würden ihnen nur helfen, um ihre Kinder später fürs Christentum zu gewinnen. Den Neuankömmlingen ist eine Gesellschaft, in der die eigene Religion keine Rolle spielt, fremd. Die Behörden sollten dringend die Telefon- und Internetverbindungen von Flüchtlingen besser überwachen. 

Krawalle und Schlägereien in Unterkünften sollten die Deutschen nicht nur als Ausdruck von Lagerkoller und schlechter Laune werten, sondern auch als Menetekel für weit Schlimmeres. Die Gründe, einander ans Leder zu gehen, sind gänzlich irrational. Ein Beispiel: Syrische Flüchtlinge werfen ihren irakischen Flurnachbarn vor, daß der IS-Chef Ibrahim al-Badri aus dem irakischen Samarra stamme. Der Irak trage deshalb am Krieg in Syrien die Schuld. Klingt irre, ist es auch. Die Träger der Heime verbieten ihren Angestellten, solche Vorfälle nach außen zu tragen.

Erst recht nach den Kölner Silvester-Ereignissen wirkt es schwer verständlich, warum Asylbewerber, die überführt werden, zu rauben und Frauen sexuell zu belästigen, nicht unverzüglich des Landes verwiesen werden. Das würde auch die große Mehrheit der Flüchtlinge begrüßen, die darunter leidet, mit den Kriminellen in einen Topf geworfen zu werden. 

In der Moabiter Turmstraße, in der Nähe des Lageso, beherrschen Asylbewerber den Drogenmarkt. Die Anwohner fühlen sich belästigt. Ich habe gesehen, wie eine Frau bespuckt wurde, als sie vor ihrer Ladentür einen Drogenhandel fotografierte. Dealer, die in Polizeigewahrsam genommen werden, stehen wenige Stunden später wieder an der gleichen Stelle. 






Shams ul-Haq ist Journalist und Terrorismusexperte. Er schreibt außer für die junge freiheit unter anderem auch für die Schweizer Sonntagszeitung, für die Zeitung Österreich und die Welt. Shams ul-Haq kam vor einem Vierteljahrhundert als 15jähriger aus Pakistan nach Deutschland.

Teil 2 der Reportage lesen Sie kommende Woche in der JF-Ausgabe 8/16