© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Ausgebeutet von der Haftpflicht
Selbständige Hebammen: Weil die Versicherungskosten zu hoch sind, müssen viele ihren Beruf aufgeben / Österreich könnte als Vorbild dienen
Peter Offermann

H ebammen sind unverzichtbar! Ein Slogan, welchen sich insbesondere Politiker, Versicherungen, Krankenkassen, die Hebammen selbst und viele Eltern gern auf die Fahnen schreiben. Dennoch drohte dem Beruf bis Mitte vergangenen Jahres das Aus. Denn es war nicht sicher, ob die für selbständige Hebammen zwingend erforderliche und gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung über den 1. Juli 2016 hinaus weiterhin angeboten würde. Zuerst die gute Nachricht: Sie wird. Die schlechte: Die ohnehin schon mit 6.270 Euro exorbitant teure Versicherung wird Mitte dieses Jahres nochmals um neun Prozent angehoben. Das hat das Versicherungskonsortium, bestehend aus Allianz, R+V, Württembergischer, Debeka, Ergo und Versicherungskammer Bayern (VKB), welche mit 55 Prozent das Hauptrisiko trägt, beschlossen und dem DHV (Deutscher Hebammenverband) so vorgelegt. 

Doch warum ist die Prämie so astronomisch hoch – betrug sie doch im Jahre 1981 noch 30,68 Euro? Die Gründe hierfür liegen laut Versicherungen im Gesundheitssystem. So pervers es klingen mag: Kinder, welche durch einen Fehler der Hebamme bei der Geburtshilfe geschädigt werden, leben heutzutage durch den medizinischen Fortschritt länger und verursachen somit mehr Kosten für die Versicherungen. Bei einer Haftungsdauer von 30 Jahren ist dies für die Versicherer ein Damoklesschwert, und die Kosten für Pflege, Rente, Therapie sowie Schadensersatzansprüche werden von der VKB bei schweren Geburtsfehlern auf sage und schreibe durchschnittlich 2,6 Millionen Euro beziffert. Ein Verlustgeschäft – denn anders als in der KFZ-Versicherung verteilt sich die Beitragslast nicht auf Millionen Versicherte, sondern auf gerade einmal knapp 2.500 freiberuflich tätige Hebammen, welche aufgrund der Kosten der Versicherung überhaupt noch die Geburtshilfe anbieten. 

Die Situation wird sich weiter zuspitzen

Und mit jeder Beitragssteigerung werden es weniger, denn bei einem durchschnittlichen Umsatz von 24.000 Euro (vor Steuern) können es sich viele schlichtweg nicht mehr leisten, den Beruf weiter auszuüben.

Die Situation wird sich weiter zuspitzen. Schon jetzt sind Hebammen, welche die Geburtshilfe noch anbieten, monatelang im voraus ausgebucht und vollkommen überlastet. Lösungen müssen her. 

Derzeit streiten der GKV-Spitzenverband und die Hebammen über eine Liste von Ausschlußkriterien, an welche von Hebammen geleitete Geburtshäuser schon längst gebunden sind. Diese sehen vor, daß Schwangere, die HIV-positiv oder aber den Geburtstermin überschritten haben, ihre Kinder nicht mehr zu Hause auf die Welt bringen dürfen. Ein Umstand, der den Hebammen sauer aufstößt, da sie nach wochenlanger Begleitung der Schwangeren immer noch am besten entscheiden könnten, ob eine Hausgeburt möglich ist oder nicht. Die Statistik gibt ihnen recht: Kinder, welche zu Hause oder im Geburtshaus geboren werden, tragen nicht mehr Schäden davon, als wenn sie in Kliniken zur Welt kommen. Bei der Lösung des Problems, in der Debatte um die für viele Hebammen mittlerweile unbezahlbare Haftpflichtversicherung, könnte Österreich als gutes Beispiel dienen. Hier ist die Haftung über einen Haftpflichtfonds abgesichert. Die Hebammen selbst zahlen eine Pauschale von 100 Euro – den Rest zahlt der Staat, um seiner gemeinschaftlichen Aufgabe bei der Geburtshilfe gerecht zu werden. Und daß viele Eltern immer noch auf die Hilfe der Hebammen setzen, zeigen unzählige Demonstrationen und Petitionen. Stirbt der Beruf der Hebamme aus, endet das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Denn dann bleibt bei der Geburt nur noch der Gang ins Krankenhaus.