© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Nichtskönnen als Geldquelle entdeckt
Hundert Jahre Dadaismus: Zumeist drittklassige Wichtigtuer etablierten die Bewegung als Nebenphänomen der Moderne
Richard Stoltz

Solch ein ausführliches Toben und Schreien in den Feuilletons und Kultursendungen hat es lange nicht mehr gegeben. Die Gründung des sogenannten „Dada“ vor hundert Jahren in einer Eckkneipe in Zürich füllt nun schon seit Wochen ganze Seiten oder gar Sonderbeilagen in den Zeitungen, nimmt in Radio und Fernsehen viel Sendezeit weg. Und noch ist kein Ende abzusehen. Wozu der Lärm?

Dada, heißt es, sei die „Geburtsstunde der Moderne in Kunst und Literatur“ gewesen. Wieso denn? Die neuen Kunstrichtungen, Naturalismus, Impressionismus, Symbolismus, Expressionismus, Surrealismus, gab es doch längst, oder sie wurden gerade andernorts machtvoll aus der Taufe gehoben. Der „Urknall der Moderne“ (Christopher Schmidt) hatte also bereits stattgefunden.

Was in Zürich im „Cabaret Voltaire“ (schon dieser Name eine freche Anmaßung!) am 5. Februar 1916 abrollte, war nicht einmal ein Nachklang, kein präzises Echo, sondern ein sinnloses Herumgezappel und Herumgebrüll, das weder mit Kunst noch mit Literatur zu tun hatte. Die Teilnehmer waren (bis auf Hans Arp) durch die Bank drittklassig. Einer von ihnen, der Autor Hugo Ball, machte in derselben Nacht noch eine Tagebucheintragung, in der er sich voller (Selbst-)Verachtung über den Abend äußerte. „Dada“ nannte sich die neue Richtung, Babygelalle, und immerhin dieser Name traf ins Schwarze. In der Tat, was sich im Dada vor hundert Jahren als Nebenphänomen der kulturellen Moderne etablierte, war Babygelalle als Institution, eine Riesenansammlung von Wichtigtuern, die das Nichtskönnen als (manchmal durchaus kräftig sprudelnde) Geldquelle entdeckt hatten.

Daß man Dada jetzt wie wild als zentrales Erinnerungsdatum 2016 feiert, ohne auf Shakespeare oder Leibniz oder Cervantes zu warten, die dieses Jahr allesamt runde Erinnerungsdaten liefern, läßt tief blicken. Man will eben lieber lallen als artikulieren.