© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Der König der Reklame
Werbung auf öffentlichem Straßenland: Eine Erinnerung an Ernst Litfaß und seine Säulen
Wolfgang Kaufmann

Das digitale Zeitalter hat vieles verändert, darunter auch die Art und Weise der Werbung. Trotzdem aber gibt es auf diesem Gebiet noch eine ganz große analoge Konstante, nämlich die Litfaßsäule. Diese existiert nun bereits seit 1855 und steht nach wie vor in 67.000facher Ausführung auf Deutschlands Straßen und Plätzen, wo sie in traditioneller Weise mit bis zu 150 Schichten Plakatpapier beklebt wird, bis ihre „Schwarte“ dann mit der Motorsäge entfernt werden muß – es sei denn, es handelt sich um eines der moderneren Modelle, in denen der Werbeträger hinter einer Plexiglasscheibe rotiert.

Hauptstadt der Litfaßsäulen ist dabei unzweifelhaft Berlin, wo noch etwa 3.000 Exemplare anzutreffen sind. Außerdem schlug in dieser Metropole auch die Geburtsstunde der einstmaligen „Annoncier-Säulen“. Anlaß zu deren Einführung bot das überhandnehmende wilde Plakatieren mit allerlei amtlichen Bekanntmachungen, Privatanzeigen sowie Werbung für Konzerte oder Theater- und Zirkusvorstellungen. Diese Unsitte verärgerte nicht zuletzt den ordnungsliebenden Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinkeldey, der bei der Lösung des Problems auf Ernst Theodor Amandus Litfaß setzte.

Litfaß war am 11. Februar 1816 in eine Buchdrucker- und Verlegerfamilie hineingeboren worden, hatte zunächst eine Lehre als Buchhändler absolviert und sich bereits einige Meriten auf dem Gebiet der Werbung erworben. So hob er unter anderem den Berliner Tagestelegraph (später umbenannt in Theater-Zwischen-Acts-Zeitung) aus der Taufe, der in etwa den heutigen kostenlosen Anzeigenblättern entsprach. Des weiteren druckte Litfaß erstmals großformatige Anschlagzettel, die dann schon bald seinen Namen trugen, und erregte schließlich auch noch durch die Herstellung von gigantischen Plakaten im Format von 20 mal 30 Fuß Aufsehen.

Er machte von Hinkeldey den Vorschlag, ähnlich wie in Paris, Brüssel und London, an geeigneten öffentlichen Orten Säulen zu plazieren, welche als Werbeträger fungieren sollten. Allerdings brauchte es noch jahrelange zähe Verhandlungen zwischen dem Polizeipräsidium und dem Berliner Magistrat, bis von Hinkeldey Anfang Dezember 1854 darangehen konnte, Litfaß die formelle Konzession zur „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“ zu erteilen.

Der Staat konnte die Aushänge zensieren

Diese Genehmigung galt zunächst für zehn Jahre und erlaubte die Aufstellung von 150 Säulen, deren Finanzierung der ebenso wohlhabende wie prominente Zirkusdirektor Ernst Renz übernahm.

Die allererste Litfaßsäule überhaupt wurde am 15. April 1855 nahe der sogenannten „Ziegenbockswache“ an der Ecke Münzstraße/Grenadierstraße aufgebaut, wo sich heute eine bronzene Gedenksäule befindet. Dem folgte am 1. Juli die feierliche Einweihung der restlichen 149 Werbeträger, die der geschäftstüchtige Litfaß, welcher mit seinem nunmehrigen Plakatierungsmonopol bald steinreich werden sollte, im Stile eines modernen „Events“ inszenierte: So erklang beispielsweise an diesem Tage überall in der Stadt die eigens komponierte „Annoncir-Polka“.

Als die 1854 gewährte Konzession 1865 auslief, erhielt Litfaß diese problemlos um fünfzehn Jahre verlängert. Dazu kam die Genehmigung zur Aufstellung von fünfzig weiteren Säulen, die inzwischen ganz offiziell „Litfaß-Säulen“ hießen. Schließlich war ihre Existenz höchst vorteilhaft für die Staatsorgane, weil im Gegensatz zu den wild angebrachten Plakaten, deren Verwendung jetzt strengen Verboten unterlag, eine systematische vorhergehende Zensur der Aushänge erfolgen konnte. Allerdings erwies sich Litfaß, der während der Revolution von 1848 noch als Herausgeber des regierungskritischen Satireblattes Berliner Krakehler öffentliches Aufsehen und obrigkeitlichen Zorn erregt hatte, nicht nur auf diese Weise als Stütze des herrschenden Systems.

Eine Bedingung für die Erteilung der Konzession war nämlich gewesen, daß an den Säulen die neuesten Nachrichten publiziert würden, worunter dann auch die amtlichen Depeschen und Siegesmeldungen aus den deutschen Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71 fielen. Dabei lieferte Litfaß ein Exempel seiner vaterländischen Gesinnung, indem er 192 dieser Verlautbarungen unentgeltlich anschlagen ließ.

Das trug dem „König der Reklame“ das Wohlwollen des preußischen Monarchen und späteren deutschen Kaisers Wilhelm I. ein. Nachdem dieser den Berliner Unternehmer bereits 1863 zum Hof-Buchdrucker ernannt hatte, verlieh er ihm 1867 zusätzlich noch den Titel eines „Geheimen Commissions-Raths“. Dem folgte die Dekorierung mit dem Kronen-Orden samt der Insignien des roten Johanniterkreuzes. Letzteres sollte „Verdienste um die Pflege und Heilung verwundeter und kranker Krieger“ würdigen – tatsächlich war Litfaß auch auf diesem Feld aktiv, genauso wie er Arme und Katastrophenopfer unterstützte. So gelang es dem Erfinder der gleichnamigen Säule immer wieder, spektakuläre Wohltätigkeitsveranstaltungen wie Freiluftkonzerte, Feuerwerke und Bootsfahrten zu organisieren, welche hohe Spendenerträge erbrachten. Diese karitative Betriebsamkeit nahmen die stets spottlustigen Berliner zum Anlaß, Litfaß als „Säulenheiligen“ zu titulieren.

Die Enkelkinder verloren die Konzession

Allerdings forderte dessen rundum starkes Engagement am Ende einen hohen Preis: Es stellten sich zunehmend gesundheitliche Beschwerden ein, die mehrere längere Kuren nötig machten. Während einer solchen erzwungenen Auszeit starb Ernst Litfaß am 27. Dezember 1874 in Wiesbaden. Vorher hatte er noch verfügt, daß sein Nachlaß an die minderjährigen Enkelkinder gehen solle. Diese wiederum verloren dann im Juli 1880 die Konzession für die Plakatsäulen in Berlin: Bei einer Ausschreibung des Magistrats wurden sie durch das Konkurrenzunternehmen Nauck & Hartmann überboten – selbiges war bereit, 35.000 Mark Pacht pro Jahr zu bezahlen. Damit blieb der Firma Litfaß’ Erben nur noch der Druck von Werbeplakaten für einzelne Auftraggeber wie den Zirkus Renz.

Heute werden die Berliner Litfaßsäulen von der Draussenwerber GmbH vermarktet. Sie ist eine Tochterfirma der Wall AG, die wiederum seit 2009 zum französischen Konzern JCDecaux SA gehört. Hingegen liegt der Betrieb der Plakatsäulen, die nicht in der Hauptstadt stehen, in den Händen der in Köln ansässigen Ströer Media SE. Diese machte zuletzt immerhin 721 Millionen Euro Umsatz – und es sieht nicht danach aus, daß die Geschäfte künftig schlechter laufen würden. Dafür sorgen unter anderem Innovationen wie Litfaßsäulen mit Hintergrundbeleuchtung der Werbung sowie Toiletten oder Computerterminals im Inneren.