© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Knapp daneben
Schattenwirtschaft in der Sackgasse
Karl Heinzen

Bis zu 300.000 Flüchtlinge, so vermutet eine Studie von Ökonomen der Universitäten Tübingen und Linz, könnten 2016 in der Schattenwirtschaft unterkommen. Trotz dieses Impulses rechnen die Wissenschaftler unter dem Strich aber mit einem Rückgang der Schwarzarbeit um 0,4 Prozent. Den Grund für die Flaute orten sie in der guten Konjunktur. Da die Arbeitnehmer Einkommenszuwächse zu verzeichnen hätten und nach Lust und Laune Überstunden leisten könnten, sei die Motivation, auch noch eine illegale Beschäftigung aufzunehmen, nicht mehr so groß. Diese Argumentation ist allerdings wenig stichhaltig. Lohn- und Gehaltssteigerungen sind stets nur Peanuts im Vergleich zu den Abzügen vom Bruttoeinkommen, die für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge draufgehen. Der Anreiz, unbemerkt von Fiskus und Kassen Geld zu verdienen, ist nicht kleiner geworden.

Rückgang der Schwarzarbeit ist ein Indiz für den nach-lassenden Zusammenhalt der Gesellschaft.

Es gibt aber andere Erklärungen für den Niedergang der Schattenwirtschaft, die einleuchtender sind. Arbeitnehmer werden durch ihre regulären Jobs in wachsendem Maße beansprucht, so daß ihnen immer weniger Zeit für Schwarzarbeit zur Verfügung steht. Der Verfolgungsdruck des Staates hat nie zuvor gekannte Dimensionen erreicht. Wer heute illegal arbeitet oder andere für sich arbeiten läßt, muß alle Spuren verwischensich und sich mit einer Perfektion tarnen, die nur Geheimdienstler oder Terroristen aufbringen.

Vor allem aber ist der Rückgang der Schwarzarbeit ein Indiz für den nachlassenden Zusammenhalt unserer Gesellschaft. In der Schattenwirtschaft treten die kalten Gesetze des Marktes zurück. Sie ist das Reich der Freundschaft. Menschen, die einander kennen, schätzen und vertrauen, einigen sich zum beiderseitigen Nutzen auf eine Leistung, nach deren Früchten die schmutzigen Finger des diebischen Fiskus nicht greifen können. Der freie Mensch reicht dem freien Menschen die Hand, ohne daß es der Vermittlung durch einen anonymen Staat und sein ungerechtes Recht bedarf. In der Schattenwirtschaft ist die solidarische Gesellschaft Wirklichkeit. Wo sie zurückweicht, schwindet ein Stück Hoffnung aus unserem Leben.